Süddeutsche Zeitung

Sachbuch "Wie mit (m)einem Körper leben":Kontrollierte Panik

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Die Schweizer Kolumnistin Michèle Roten hat ein so lustiges wie lakonisches Buch über ihren eigenen Körper geschrieben.

Von Aurelie von Blazekovic

In den Hormonhaushalt lässt man sich als aufgeklärte Frau nur noch ungern eingreifen, die Pille ist deswegen schon länger out. Die möglichen Nebenwirkungen des Verhütungsmittels sind bekanntermaßen unendlich (alles von Gewichtszunahme/Gewichtsverlust, schlechter Haut/besserer Haut, bis Thrombose, Depression, Libidoverlust). Möglicherweise, sagen manche, ist die Pille sogar eine der unbemerktesten Fesseln, die Frauen angelegt werden - von eiskalten Gynäkologen schon an 14-Jährige verteilt. (Und wer keine Probleme mit ihr hat, merkt es vielleicht nur nicht.) Möglicherweise, ist sie aber auch nicht ganz so schrecklich.

Das eigene Ich durch Absetzen der Pille zu befreien, das hat vor Jahren auch Michèle Roten mal probiert. Das unschöne Ergebnis: "Wenn ich morgens aufwachte, sah ich aus, als ob jemand mein Gesicht eingebuttert hätte, um einen konkaven Kuchen darauf zu backen."

Die Schweizer Publizistin und Mitinhaberin eines Second-Hand-Ladens in Zürich hat in "Wie mit (m)einem Körper leben" ihren weiblichen Körper einer humorvollen Untersuchung unterzogen. Von Fuß bis Haar schreibt sie über alle Stellen, die es zu beachten gibt, und die Frauen so gut problematisieren können. Und über alle Erfahrungen, die man mit so einem weiblichen Körper machen kann, vom Reckturnen bis zur Geburt. Angenehmerweise versucht Roten nicht, ihren, wie sie schreibt "wahnsinnig durchschnittlichen" Körper betont zu zelebrieren - oder gar bedeutungsschwer vorzuführen, dass Frauenkörper übrigens auch eklig und roh sein können. Roten beschäftigt mehr, dass mit diesem, ihrem weiblichen Körper eigentlich immer irgendwas ist.

Es geht um die kontrollierte Panik, die der ersten Menstruation innewohnt - und einigen späteren -, überhaupt das ganze monatliche Auf und Ab, und die Möglichkeiten der Beschwerden dabei, die bekanntermaßen unendlich sind. Kontrollierte Panik, die während einer auch Schwangerschaft und im Angesicht einer Geburt nicht besser wird. Roten kann sich an die Geburt ihres Kindes, die in einem Notkaiserschnitt endete, nicht mehr erinnern, setzt mithilfe von Hypnose verschüttete Bruchstücke wieder zusammen. Im Vergleich zum männlichen Körper, schreibt sie: "Man könnte schon meinen, das hätte sich gerechter verteilen lassen."

Sechzehn Tattoos, Nasen-OP im Lockdown, zwanghafte Kontrolle beim Essen: Individuell und doch exemplarisch wird Rotens Körper dekoriert, beschädigt, in zu kleinen Schuhen gedrängt, betrachtet, mit Medikamenten eingestellt und massiert. "Und die Männer sitzen da (...) und das erste Mal, dass ihr Körper irgendetwas anders macht, ist vielleicht mit sechzig, wenn sie plötzlich nachts aufs Klo müssen."

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