Süddeutsche Zeitung

Metropoltheater:Eine Frage der Würde

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Joachim Schölch inszeniert ohne jede Sentimentalität Wannie de Wijns Stück "Der gute Tod"

Von Christiane Lutz, München

Bernhard will dabei sein, wenn er stirbt. Deshalb hat er seinen Freund und Arzt Robert gebeten, ihm beim Sterben zu helfen, bevor ihn der Lungenkrebs nach und nach auslöscht. Robert hat eingewilligt, seinem Freund die entsprechende Pille zu verabreichen, am nächsten Tag um 9 Uhr soll es soweit sein. Bernhard hat dafür alle herbestellt, die ihm wichtig sind: seine Tochter, seine Brüder und seine Lebensgefährtin Hannah.

"Der gute Tod" heißt das Stück des niederländischen Autors und Dramatikers Wannie de Wijn, das Jochen Schölch nun am Metropoltheater inszeniert. Er tut das sehr subtil in einem schwarz gestrichenen Bühnenraum und ist dabei alles andere als voyeuristisch. So ist es auch nicht peinlich, als Bernhard (Butz Buse) am Ende des Stücks ganz naturalistisch in einem echten Bett auf der Bühne liegt und vor den Augen der Zuschauer stirbt.

Zuvor zeigt Schölch Figuren, die jede auf ihre Weise mit Bernhards angekündigten Tod umgehen. Seine Lebensgefährtin Hannah beispielsweise (Lilly Forgách) muss sich stets an etwas festhalten. Meist sind es Teetassen, die sie in überbordender Fürsorglichkeit umher trägt. Sie flüchtet in die Rolle der Helferin, die einzige Rolle, in der sie sich noch auskennt. Bernhards Bruder Michael, ein rechter Kotzbrocken (schön kotzbrockig gespielt von Christoph von Friedl), unterbricht wichtige Geschäfte in Peking, um noch schnell zum sterbenden Bruder zu jetten. Er kann die bedrückende Atmosphäre kaum aushalten und will sie mit lustigen Selfies bekämpfen. Dann ist da noch Ruben, der jüngste der drei Brüder. Ein Riesenbaby, das ganz offensichtliche autistische Züge hat und sich nur am Klavier oder beim Singen wohl fühlt (anrührend gespielt von Sebastian Griegel). In schlichter Naivität nimmt er die Entscheidung des Bruders hin, auch wenn sie schmerzt.

Beim Zuschauen wird seltsam bewusst, dass uns die Referenzen und Bilder für diese Art des Sterbens fehlen, im echten Leben genauso wie im Theater. Sieht man auf der Bühne nicht viel häufiger brutale Morde, bei denen höchst artifiziell das Blut spritzt, als einen Menschen, der im Kreise seiner Familie einschläft, weil er nicht mehr leben möchte? Jochen Schölch versucht, diese Bilder zu schaffen, sie sind bisweilen von einer gewissen Unbeholfenheit. Die aber wirkt zutreffend, denn welches andere Gefühl empfinden die Meisten, wenn sie über den Tod nachdenken? Unbeholfenheit. So ist es richtig, dass Sterbehilfe auch im Theater stattfindet. Und Schölch geht wieder einmal souverän mit schwierigen Lebensthemen wie diesem um.

2001 trat in den Niederlanden ein Gesetz in Kraft, das die aktive Sterbehilfe unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht, das weltweit das erste Land, dass dies zuließ. Das Stück und die Inszenierung halten sich nicht mit der Frage auf, ob Sterbehilfe überhaupt moralisch vertretbar ist. Sie ist es. Alte Konflikte zwischen den Figuren brechen über Bernhards Entscheidung zwar auf, in Frage gestellt aber wird sie zu keinem Zeitpunkt. Es geht viel mehr darum, wie eine Familie den Umgang mit dieser Entscheidung versucht. Gehadert, geschimpft und geheult werden darf da natürlich trotzdem.

Ganz gelingt es der Gruppe nicht, darüber hinweg zu täuschen, dass der Text von de Wijn nicht sonderlich gut ist - ein Text voll Phrasen und ohne jegliche Tiefe. Aber der unverstellte Blick auf das Thema und das unsentimentale Spiel lassen den Abend trotzdem zu einer runden Angelegenheit werden, gesellschaftliche Relevanz inklusive.

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Quelle:
SZ vom 30.01.2017
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