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Mediaplayer:So ist das Leben

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Die Figuren des italienischen Filmregisseurs Paolo Sorrentino passen zur Machtmissbrauch-Debatte: ein Politiker mit Mafia-Verbindungen, ein lüsterner Starkomponist. Alle großen Filme von Sorrentino gibt es nun in einer Box.

Von Nicolas Freund

Die Grenze zwischen Künstler und Kriminellem ist manchmal dünn und in den letzten Wochen scheint sie noch etwas dünner geworden zu sein, wenn die Frage zunehmend lauter wird, wie mit Werken umzugehen ist, deren Urheber nicht nur als erhabene Genies, sondern auch mit moralischen Entgleisungen aufgefallen sind. Da erscheint es fast als Kommentar zu dieser aktuellen Debatte, wenn nun die großen Kinofilme des italienischen Regisseurs Paolo Sorrentino gesammelt erscheinen, denn seine Figuren sind zwar nicht mit den Harvey Weinsteins dieser Tage zu vergleichen, aber sie alle taumeln in schwindelerregenden Höhen am Abgrund.

Am deutlichsten wird das wahrscheinlich an dem Polit-Thriller "Il Divo" von 2008 über den italienischen Politiker und mehrfachen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti, dem Beziehungen zur Mafia vorgeworfen wurden. Sorrentinos Figuren sind auch immer Karikaturen und er lässt ein ganzes Kabinett schräger historischer Gestalten aus der unberechenbaren italienischen Politik und der organisierten Kriminalität aufmarschieren, zwischen denen sich Toni Servillo als Andreotti wie das reale Vorbild mit stoischer Ironie beweisen muss. Da kann nur ein Künstler bestehen - oder ein Krimineller. Hatte er nun Beziehungen zur Mafia? Dem Journalisten, der ihn drankriegen möchte, verrät er nur: "Die Geschichte ist etwas komplexer."

Ein fast wirklich krimineller Künstler ist Sean Penn als verbrauchter Altrocker Cheyenne in dem gleichnamigen Film von 2011. Das ulkige Porträt des ehemaligen Stars zwischen Ozzy Osborne und Knusperhexe kippt, als er beschließt, aus seiner beschaulichen Wahlheimat in Irland mit Villa und Tantiemen aufzubrechen, und im Kernland der USA einen Nazikriegsverbrecher zu jagen. Cheyenne kauft sich die größte Pistole, die er kriegen kann und erlebt am Ende doch keinen Western, sondern nur eine etwas dünne Coming-of-Age-Geschichte. Sean Penn im Gothic-Outfit sollte man trotzdem gesehen haben.

So wie Michael Caine als alten Starkomponisten in "Ewige Jugend" (2015). In einem zauberberghaft entrückten Berghotel treffen Künstler, Sportler und andere Gesellschaftsgrößen aufeinander, die vor allem gemeinsam haben, dass ihre Tage bald gezählt sein werden. Das ist alles, wie bei Thomas Mann, noch lange nicht kriminell, aber doch in seiner Dekadenz höchst fragwürdig und traumhaft anzusehen, wie das eben auch mit der Kunst vieler ins Zwielicht gerückter Künstler ist. (Zu denen Paolo Sorrentino übrigens, sollte der falsche Eindruck entstehen, nicht gehört.)

Dass es in dieser Enklave auch ein Problem zwischen den alten Männern und den jungen Frauen geben könnte, verrät der Traum des alternden Komponisten, in dem er über den Markusplatz in Venedig schreitet, es herrscht aqua alta, also Hochwasser, und auf den dünnen Stegen, die dann in der Lagunenstadt ausgepackt werden, muss er sich außerordentlich nah an dem Ausschnitt der Miss Universe vorbeidrücken und ertrinkt danach im unaufhaltsam steigenden Wasser. Der Traum eines Künstlers? Könnte dieser ganze Film sein. Geht es um Sex, oder um Wahrheiten? Das weiß wahrscheinlich nur Jep Gambardella, der gealterte Schriftsteller und Lebenskünstler aus "La Grande Bellezza" (2013), den wieder Toni Servillo spielt. Dieser Jep Gambardella ist vielleicht die einzige Figur Sorrentinos, die um den schmalen Grat weiß, auf dem der Künstler wandelt, nicht nur in der Gefahr, zum Kriminellen zu werden, sondern genauso, sich lächerlich zu machen, zu scheitern oder, vielleicht am schlimmsten, belanglos zu werden. Er weiß, beide, der Künstler und der Kriminelle, haben ein Problem mit der Welt. Der eine versucht, es mit Gewalt zu lösen, der andere versucht verschiedene Ausweichstrategien. Jeps besteht darin, nichts ernst zu nehmen, denn sonst wäre diese schreckliche Schönheit Roms und der Welt nicht zu ertragen. Damit muss auch Cheyenne auf seiner Nazisuche in Utah klarkommen, wenn er in einem billigen Diner zu hören bekommt: "Sie haben mal zusammen mit Mick Jagger gesungen. Hören Sie, Ihr Cheeseburger ist ein wenig zu durch. Das macht doch nichts, oder? Dummerweise, so ist das Leben."

Die Paolo-Sorrentino-Box mit den vier Filmen ist bei Universum Film erschienen.

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SZ vom 11.12.2017
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