Süddeutsche Zeitung

Mediaplayer:Scotch mit Sofa

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Bis es kracht: "Crimewave" von Sam Raimi und den Brüdern Joel und Ethan Coen ist ein Film, der vor nichts zurückschreckt. Er ist so krude wie revolutionär.

Von Fritz Göttler

Auf Hygiene wird geachtet, rigoros, im Rialto Nachtclub in Detroit: Kein Kautabak beim Geschirrspülen, steht an der Küchenwand. Victor und Nancy sind hier gelandet, weil sie die 36 Dollar für ihre Rechnung nicht hatten. Und weil sie den Rialto-Tanzwettbewerb nicht gewinnen konnten, der ihnen eben diese Summe eingebracht hätte. Victor ist dennoch fröhlich, weil er sich in Nancy verguckt hat, als sie von einem Lieferwagen angefahren wurde. Nancy ist sauer, weil Renaldo, der sie zum Date ins Rialto bestellte, sich ein anderes Girl schnappte, vor ihren Augen: Ein heel, ein windiger Schuft und Charmeur. Er liebt es ein heel zu sein. Komm, nehmen wir einen Scotch mit Sofa, ist einer seiner Sprüche.

"Crimewave" ist ein Film aus dem Jahr 1985, Regie Sam Raimi, Drehbuch Joel und Ethan Coen. Ein ungestümes kreatives Trio, sie hatten eben mit ihren ersten großen Filmen für Aufsehen und Erfolg gesorgt, Raimi mit "Evil Dead/Tanz der Teufel", bei dem Joel Schnittassistent war, die Coens mit "Blood Simple".

Die Stadt von General Motors hatte damals keinen sehr guten Ruf, was die öffentliche Sicherheit anging, dafür interessiert sich der Film aber gar nicht, nur für eine fatale mörderische Intrige im bürgerlichen Milieu, ein paar Stunden voller Arglist und Frust. Ein Killerpaar macht die Nacht unsicher, hartnäckige, aber unbedarfte Kammerjäger: We kill all sizes.

Der Film bedeutete eine neue Größenordnung für die drei jungen Filmfreaks, Hollywood war aufmerksam geworden auf sie. Edward R. Pressman war der Produzent, ein wichtiger Mann des jungen Hollywood, er hat "American Psycho" von Mary Harron produziert, "Blue Steel" von Kathryn Bigelow, "Wall Street" von Oliver Stone. In "Crimewave" hat er sogar eine Rolle vor der Kamera, als Mr. Trend.

Der Film war ein fürchterlicher Flop und wurde von der Kritikern gerupft. Sam Raimi wurde das Recht auf den Final Cut verweigert, und er durfte für den Loser-Helden Victor nicht Bruce Campbell nehmen, der mit ihm zusammen "Evil Dead" geschaffen hatte. Campbell wurde dafür, und mit großer Lust, Renaldo the heel.

Mr. Trend hat eine Security-Firma, Victor installiert Überwachungskameras für ihn, und Mr. Trend rät ihm einen Plan fürs Leben zu finden und das Mädchen dafür. Er selbst verwechselt auf dem Flur die Türen und landet statt in seiner Wohnung erst mal in der Besenkammer. Er will seinen Partner umbringen lassen, auch das endet anders als erwartet. Und Victor verschlägt es auf den elektrischen Stuhl, im Hudsucker Staatsgefängnis.

"Crimewave" ist ein Film, der vor nichts zurückschreckt, er ist grotesk und krude, in dreistes Neonlicht getaucht, scheppernd und schleppend, infantil und revolutionär. In den zehn Jahren zuvor hatten Martin Scorsese und Paul Schrader ihr New Hollywood geschaffen, in aller Ehrfurcht vor dem alten, klassischen, mit "Taxi Driver" und "American Gigolo". "Crimewave" ist dagegen rasende Anarchie. Noch einmal Kino zum Selberbasteln, als würde man einem kleinen Jungen zuschauen, wie er ein Spielzeug auseinandernimmt und es dann wieder zusammenbaut, aber - er hat keinen Bauplan und womöglich gibt es gar keinen - völlig verquer. Aber diese destruktive Energie hat für Jahrzehnte das neue amerikanische Erfolgskino dynamisiert, bis hin zu den Marvel-Konstrukten. Die Coens bastelten an ihren ersten großen Studiostücken, "Raising Arizona", "Barton Fink" und "The Hudsucker Proxy", an dem beim Drehbuch und als Regieassistent Sam Raimi mitmachte, Raimi schuf den Kassenerfolg "Evil Dead 2" und die drei Spider-Man-Filme. Dichte Studien amerikanischer Kleinbürgerlichkeit, bei den Coens dringt schon trotz aller Subversivität der unangenehme großbürgerliche Blick auf Underdogs und Verlierer durch, von oben.

In "Crimewave" steckt die Sehnsucht nach einem ursprünglichen Kino, nach Slapstick und Zeichentrick, wo die Gesetze der Schwerkraft und der Logik aufgehoben sind. Du bist ein heel, sagt Victor zu Renaldo. Und du?, fragt dieser zurück. Vielleicht ein Bursche, der heels hasst. Nun, erwidert Renaldo, vielleicht bin ich ein Bursche, der Burschen hasst, die heels  hassen.

"Crimewave", bei uns unsinnigerweise als "Killer-Akademie" im Kino, ist auf DVD und Plural erschienen bei Koch Media.

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SZ vom 09.03.2020
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