Süddeutsche Zeitung

Mediaplayer:Schreiben als Religion

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Der Spielfilm "Rebel in the Rye" erzählt die Geschichte des jungen Schriftstellers J.D. Salinger: Wie er seinen Welthit verfasste, und wie er sich danach vor der Welt versteckte.

Von Fritz Göttler

Das ist rebellisch, fürwahr, was Jerry da praktiziert. Seine Agentin hat ihm erklärt, dass - der Traum eines jeden Jungautors - der renommierte New Yorker eine seiner Stories drucken will, und möchte mit ihm darauf anstoßen. Allerdings, da verzieht sich Jerrys Gesicht unmerklich, hätten sie noch ein paar Anmerkungen und Änderungswünsche, die er bitte berücksichtigen möge. New-Yorker-Stories sollen sich eben wie New-Yorker-Stories lesen, prinzipiell. Jerry weigert sich.

Vom Kampf um Authentizität und die Wirklichkeit (und auch von schreiberischer Potenz) erzählen die Filme, die im amerikanischen Kino Schreiber als Helden haben, von Frank Sinatra in Vincente Minnellis "Some Came Running / Verdammt sind sie alle", 1958, bis Philip Seymour Hoffman und Toby Jones in den Truman-Capote-Filmen von 2005. Jerry, das ist nun Jerome D. Salinger, berühmt und geliebt auf der ganzen Welt für seinen "Catcher in the Rye / Fänger im Roggen", im ersten Spielfilm von Danny Strong, der am Drehbuch von zwei "Hunger Games"-Filmen mitarbeitete und eines schrieb über Sarah Palin, den umstrittenen Star der Republikaner. Nicholas Hoult spielt Jerry Salinger, mit Knopfaugen und einem faltenlosen Gesicht, das wie eine Maske ist.

Was in einem biografischen Film passiert, ist absehbar, durch die konkreten Lebensdaten und die Strukturen des Genres. Jerry verweigert sich der Karriere in der Käse- und Fleischproduktion, die sein Vater ihm vorschlägt, er will kein king of the bacon werden, will in den Schreibkurs der Columbia University. Er schlürft Cocktails im Stork Club, ist hinter Mädchen her. In einer seiner Stories schafft er Holden Caulfield, den Jungen, der mit seiner Unsicherheit und seinen Impulsen der Rebellion eine der stärksten (Identifikations-)Figuren des vorigen Jahrhunderts wurde. Holden begleitet Jerry in den Krieg, als Soldat entwickelt er die Geschichte zum Roman. Das Schreiben hilft ihm über die Traumatisierungen hinweg, die Konfrontation mit Tod und KZ, und das Faktum, dass das Mädchen seiner Jugend, das ihm die Treue versprach, ihn verlässt. Auf der Titelseite einer Zeitung muss er lesen: Oona O'Neill, die 18-jährige Tochter des Dramatikers, heiratet den alten Charles Chaplin.

Die Liebe ist für ihn auf der Flucht, er ist ein Gegenheld zur Nouvelle Vague in Europa. Das Problem mit den Mädchen, erklärt er: Immer wenn sie etwas Hübsches machen, verliebt man sich in sie. Jerry macht sich an seinen Rückzug. 1951 erscheint der "Catcher", Erfolg und Ruhm sind gewaltig. Die Paranoia, die Jerry entwickelt, funktioniert er um in einen Kult. Manchmal lässt er sich von einem Guru dabei helfen. Elia Kazan und Billy Wilder rufen immer wieder an, sie möchten den "Catcher" verfilmen, Jerry lehnt ab.

Jerome Salinger entzieht sich dem Literaturbetrieb, den Fans, der amerikanischen Gesellschaft. Er zieht nach New Hampshire, in ein Haus auf dem Land, mit einem "Schreibbunker". Ein verzweifeltes, boshaftes Lächeln spielt um seine Lippen, als er einen Bretterzaun ums Grundstück errichtet, eigenhändig hingenagelt. Das Schreiben macht er zu seiner Religion, er schreibt mehr und mehr, aber nicht mehr für Leser. "Ich liebe es zu schreiben, aber ich schreibe ganz für mich, zu meinem Vergnügen." Es liegt ein herrlicher Friede darin, nicht zu veröffentlichen.

Der Mythos vom Schreiber als loner, das klingt bei aller Liebe immer wieder durch in Danny Strongs Film, ist eine Schimäre. Als Gegenfigur, gleichsam sein Sancho Pansa, steht Jerry Whit Burnett zur Seite, sein Lehrer an der Columbia University, der die kleine Literaturzeitschrift Story herausgibt und gern neue Talente entdeckt. Er redet Jerry zu, Holden Caulfield in einen Roman zu packen. Die Zeitschrift schlägt sich nur mühsam durch, und wenn Whit nicht gerade seine Schreiber ermutigt, muss er um Unterstützung betteln. Kevin Spacey spielt ihn, es könnte die letzte Rolle in seiner Filmografie sein, nach den Enthüllungen aus seinem Privatleben und nachdem Ridley Scott ihn brutal aus seinem Film "Alles Geld der Welt" herausschneiden ließ. All dies (und natürlich sein Frank Underwood aus "House of Cards") verleiht diesem Mentor und Meister der Mäeutik einen sanften mephistophelischen Touch. Kevin Spacey ist bewegend in seiner resignativen, aber ganz und gar pragmatischen Unbeirrbarkeit. Er preist in seiner Schreibklasse die starke Faszinationskraft der Bibel, als Vorbild für die Schüler. Den Rest der Stunde, sagt er, schon im Gehen, könnt ihr eure eigene Story entwickeln - oder masturbieren. Aber bringt beides nicht durcheinander.

Rebel in the Rye ist auf DVD und als Video on Demand erschienen.

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Quelle:
SZ vom 09.04.2018
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