Süddeutsche Zeitung

Nachruf auf Loretta Lynn:Eine Lebensgeschichte wie ein Kriegsbericht

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Die Country-Ikone Loretta Lynn ist im Alter von 90 Jahren gestorben - eine singende Heldin der amerikanischen Arbeiterklasse.

Von Andrian Kreye

Die Country-Sängerin Loretta Lynn ist gestorben. Wer ihre Stimme in ihren frühen Jahren hörte, erholte sich oft nicht so schnell von dieser Lawine aus Kentucky-Akzent, Stimmbändern wie Keilriemen und einem Groll auf alles, was die Männlichkeit ihrer Zeit bestimmte. Manche ihrer Songtitel sprachen für sich. "Du bist der Grund, warum unsere Kinder so hässlich sind", "Komm bloß nicht betrunken heim und glaub', dass du noch landen kannst" und an die Konkurrenz: "Du bist nicht Frau genug, um mir meinen Mann zu nehmen".

Geboren wurde sie in Butcher Hollow, einem Kumpelstädtchen auf einem Hochplateau in den Appalachian Mountains von Kentucky, in dem die Kohlearbeiter in Holzbuden lebten. Ihr Vater arbeitete dort in den Stollen und starb an der "schwarzen Lunge". Einer ihrer größten Hits war 1970 "Coal Miner's Daughter". Das war auch der Titel ihrer Autobiografie, die Michael Apted mit Sissy Spacek verfilmte, die für die Rolle einen Oscar bekam. Ihre Lebensgeschichte war mehr Kriegsbericht als Liebesgeschichte.

Mit Anfang dreißig wurde sie zum ersten Mal Großmutter

Mit 15 heiratete sie den Taugenichts Oliver "Doolittle" Lynn, der selbstgebrannten Fusel verkaufte, zu viel trank, sich mit viel zu vielen Frauen herumtrieb und Inspiration für viele ihrer zornigen Songs wurde. Mit 19 hatte sie schon vier Kinder. Mit Anfang dreißig wurde sie zum ersten Mal Großmutter. Lynn kaufte ihr aber auch ihre erste Gitarre und wurde zum Manager ihrer Karriere, die in den Sechzigerjahren noch ungewöhnlich war, als der Großteil der Country-Stars Männer waren. Und dann war sie auch noch eine Frau, die viele ihrer Songs selbst und sehr deutlich aus ihrer eigenen Perspektive schrieb. Das war alles weit entfernt von der "Stand by your man"-Demut ihrer Zeitgenossinnen. Und trotz der vielen Krisen hielt die Ehe bis zu seinem Tod 1996 fast fünfzig Jahre lang.

Lynns Zorn richtete sich aber nicht nur gegen Machismo und die Nebenbuhlerinnen. 1966 veröffentlichte sie mit "Dear Uncle Sam" einen der ersten Anti-Vietnamkriegs-Songs. Sie sang in "The Pill" für das Recht auf Verhütung und in "Rated X" gegen die Doppelmoral, mit der geschiedene Frauen von der Gesellschaft abgestraft wurden. Mehr als einmal wurden ihre Hits aus dem Radio verbannt. Trotzdem blieb sie Zeit ihres Lebens an der Spitze der Countrymusik. Anfang der Nullerjahre startete sie sogar noch einmal in der Welt der Rocksnobs und Hipster durch, als ihr der White Stripes-Gitarrist Jack White das Album "Van Lear Rose" produzierte. Sie trat auf Festivals wie Bonnaroo auf, nahm Duette mit Leuten wie Sheryl Crow und Elvis Costello auf. Ungeachtet ihres Status als Superstar stand sie immer für die Trotzhaltung all derer im Herzland Amerikas, die sich den Schneid vom Lauf der Zeit nicht abkaufen ließen, auch wenn sich die Eliten des Landes über sie als "white trash" lustig machten oder sie für ihre reaktionäre Politik einspannten.

Am Dienstag starb Loretta Lynn zu Hause in Hurricane Mills, Tennessee, eine Autostunde von Nashville entfernt. Im Pantheon für Heldinnen der Arbeiterklasse hatte sie schon lange einen Ehrenplatz. Sie wurde 90 Jahre alt.

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