Süddeutsche Zeitung

Little Britain:Hunderttausende im brennenden Graben

Lesezeit: 2 min

Vielleicht ist es das Militärische: Ameisen sind unsympathisch. Immerhin, in London kann man dieser Plage mit radikalen Mitteln Herr werden. Wenn da nicht eine Flut von Leserbriefen wäre, die für schlaflose Nächte sorgt.

Christian Zaschke, London

Ich habe über den toten Hund im geklauten Videorekorderkarton geschrieben. Über die Beziehung von Wassereis zum Teufel. Einmal schrieb ich über einen Knöllchenverteiler mit volltätowierten Armen, der morgens um 4.30 Uhr, als die Sonne das Meer in Flammen setzte, den Falschparkern einer kleinen Hafenstadt auflauerte. Dann wechselte ich zur SZ und schrieb über Lothar Matthäus.

Ich habe von einem Japaner erzählt, der aus London mit dem Zug nach Hause fährt, weil er Flugzeuge mit einigem Recht für ein bisschen unheimlich hält. Ich schrieb von der Begegnung mit einem Politiker, der sich im Treppenhaus eines Hotels in Manchester verlaufen hatte, nachdem er zuvor ein halbes Jahr lang zielstrebig durch Afghanistan gewandert war. Aber nie hat mich eine solche Flut an Briefen erreicht wie neulich, als ich über Ameisen geschrieben hatte.

Sagen wir es so: Ich bin kein Freund von Ameisen. Tiere finde ich insgesamt okay. Katzen finde ich lässig. Hunde finde ich freundlich. Aber Ameisen geben mir ein schlechtes Gefühl. Es liegt gar nicht mal an ihrer Insektenhaftigkeit. Käfer zum Beispiel halte ich für sympathische kleine Gesellen. Wenn sich mal einer in meine zugige Wohnung verirrt, trage ich ihn vorsichtig raus ins Grüne. Spinnen? Kein Problem. Fange ich in einem Glas, trage sie raus. Meine Abneigung gegen Ameisen - ich weiß nicht. Ist es das Militärische?

Die meisten Briefe kamen von deutschen Ehepaaren, die sich Häuser im Süden Europas gekauft hatten. Sie bescheinigten mir, ein Weichei zu sein, weil ich wegen einer kleinen Ameisen-Kohorte in meiner Wohnung nervös geworden war. Ein Paar berichtete, wie es nach der ersten Nacht im neuen Haus in Frankreich aufwachte und vollkommen von Ameisen bedeckt war.

Aus Italien schrieb Leser M., er habe nun 100.000 Ameisen getötet (mit "Superkill"), aber es kämen immer mehr. Ein Leser teilte eine Vision mit mir: Da ist dieses Dorf, das einen Graben voll brennenden Öls um die Häuser gezogen hat. Aber die Ameisen stürzen sich zu Hunderttausenden in den brennenden Graben und bauen so eine Brücke für die anderen Ameisen, die beharrlich nachrücken. Er könne, schrieb der Leser, sich nicht erinnern, ob er das selbst erlebt habe, ob es ihm jemand nach einer Südamerika-Reise erzählte, oder ob es in einem gar nicht mal so guten Roman stand.

Die Briefe habe ich, wie alle Post, sorgsam beantwortet. Ich teile den Horror. Ich fühle mit. Hier in London, das möchte ich immer noch glauben, lässt sich das Problem mit drei Dosen "Raid" und einem Vorrat an Backpulver beherrschen. Aber natürlich tue ich nach Lektüre der vielen Briefe nachts kein Auge mehr zu.

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Quelle:
SZ vom 26.05.2012/mahu
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