Süddeutsche Zeitung

Literatur:Einmischen als Aufgabe

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Johano Strasser wird 80 und stellt seine überarbeitete Biografie vor

Von Antje Weber, München

Vielleicht wäre alles anders gekommen, wäre Johano Strasser nicht ausgerechnet an einem 1. Mai geboren worden. Seine Mutter versuchte ihm lange weiszumachen, "der festliche Umzug der Gewerkschaften mit Pauken und Trompeten und all den roten Fahnen werde ganz allein meinetwegen veranstaltet". Wer solchermaßen schon früh von den Gewerkschaften begeistert ist, der kann ja eigentlich nur ein soziales Gewissen ausbilden.

Johano Strasser, der an diesem 1. Mai 80 Jahre alt wird, hat aber natürlich noch ein paar weitere Erklärungen dafür, dass aus ihm ein streitbarer Politologe wurde, ein Schriftsteller und Vordenker der SPD. In seiner jüngst aktualisierten Autobiografie "Als wir noch Götter waren im Mai" (Europa Verlag), die er am 9. Mai in der Buchhandlung Lehmkuhl vorstellt, erzählt er davon, wie früh bei ihm "die Entscheidung für einen linken Humanismus" gefallen ist: Geprägt hat den Sohn pazifistischer Esperanto-Anhänger zum Beispiel der ständige Kampf ums Überleben in der Nachkriegszeit in Friesland und Niedersachsen. "Dass wir nach heutigen Maßstäben arm waren, mit sieben, zeitweilig sogar acht Personen in zwei Zimmern wohnten, dass wir Kinder früh schon mitarbeiten mussten", so schreibt er, "all das erschien mir damals normal, jedenfalls nicht unerträglich." Als Student arbeitete Strasser dann auf dem Bau, in einer Betonfabrik, bei Magirus und bei Ford, und bekam einen ersten Eindruck davon, "dass arbeitende Menschen immer noch und immer wieder um ihre Rechte kämpfen mussten". Kein Wunder also, dass die Gedanken eines Friedrich Engels bei dem Studenten auf fruchtbaren Boden fielen.

Doch war er, was ja bereits der Buchtitel naheliegt, ein glühender 68er? Er fragt sich das selbst in seinem durchaus auch kritischen Rückblick. Und ja, er bewertet die 68er-Ideen und -Umbrüche immer noch positiv. Dennoch: "Ich habe nie die revolutionäre Emphase geteilt, die manche damals beseelte." Links sein, das ist für ihn eben vor allem ein "an humanistischen Idealen orientiertes Projekt" gewesen, und das bedeutet für ihn auch heute noch, "die unveräußerliche Würde des Menschen zum Maßstab des politischen Handelns zu nehmen".

Dieser Antrieb prägt denn auch seine Biografie; 1967 wurde Strasser Mitglied der SPD, er war heftig bei den Jusos aktiv und immer nah dran an den politschen Entwicklungen, außerdem ist er seit Langem Mitglied der Grundwertekommission der SPD. Und er fing in den Siebzigern an zu schreiben. Ein Buchtitel wie "Die Zukunft der Demokratie. Grenzen des Wachstums - Grenzen der Freiheit?" aus dem Jahr 1977 klingt angesichts heutiger Diskussionen geradezu prophetisch. Zunehmend rückte bei Strasser auch die Literatur in den Vordergrund, mit Romanen wie "Der Klang der Fanfare" von 1987, zu dem ihn Günter Grass ermutigte. Grass spielt überhaupt eine wichtige Rolle in diesen Erinnerungen, als Freund und schon auch mal Retter, der Strasser zum Beispiel die Redaktion der Zeitschrift L'76 in Berlin antrug.

Doch Strasser bewegte sich nicht nur im Kreise großer Schriftsteller, von Heinrich Böll bis Uwe Johnson: Als langjähriger Generalsekretär und Präsident des PEN-Zentrums Deutschland konnte er auch einiges für nicht ganz so berühmte Schriftsteller tun. Schon lange lebt er am Starnberger See - und engagiert sich schreibend weiter, was sonst. Zuletzt hat er den Band "Das freie Wort. Vom öffentlichen Gebrauch der Vernunft im postfaktischen Zeitalter" herausgegeben. Sich einzumischen, das ist überhaupt vielleicht das Wichtigste, was man aus seinen Erinnerungen herauslesen kann. Denn politisches Engagement, das macht er deutlich, ist für ihn keine Zeitvergeudung, sondern gehört "zu einem vollständigen und erfüllten Leben".

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SZ vom 30.04.2019
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