Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Whisky zum Lied

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Eine Soirée im "Barber House" vereint Romantik mit Luxus

Von Ekaterina Kel, München

Der Erlkönig ist am Sonntagabend erwacht. Dieses Fabelwesen aus Goethes Ballade, das dem fiebrigen Kind im dunklen Wald Angst einjagt. Er ist zwar fest im Kanon verankert, aber auch etwas aus der Mode gekommen. Am Sonntag jedenfalls war er wieder da - in der Fraunhoferstraße 20, im Herrenfriseursalon namens "Barber House". Dort fand die zweite Veranstaltung des Festivals "Hidalgo" statt, das sich mit ungewöhnlichen Konzepten dem klassischen Lied widmet. Bei einer Soirée im Stil der Jahrhundertwende mit einer Prise postmoderner Schnurrbart-Romantik gab es hochwertige Getränke und ebenso hochwertige Darbietungen von Franz Schubert, Hugo Wolf und dem russischen Komponisten Nikolai Medtner.

So zog sich des Erlenkönigs Schweif durch den seicht beleuchteten Raum, am Barkeeper mit Fliege und Lippenbärtchen, an den schweren Whiskygläsern, an den konzentrierten Gesichtern der etwa 30 Zuschauer vorbei, umkreiste den Steinway im Zentrum des Ladens, ruhte sich kurz auf der Schulter des Pianisten Jonathan Ware aus, und kehrte schließlich zurück zu seinem Meister, dem jungen Bariton Ludwig Mittelhammer. Denn dieser hatte ihn erschaffen, mit seiner engagierten Stimme, in einer geistreichen Interpretation von Schuberts Vertonung der Verse.

Fortan sprangen aus den Augen des Sängers kleine blaugrüne Funken ins Publikum über - Freude, die ansteckte, sie war an diesem Abend bei allen spürbar groß. Kein Wunder: Der Aufenthalt im Salon machte einem Urlaub im Wellness-Hotel Konkurrenz. Willkommensdrink, Handmassage, Rasur, Knabberzeug - alles inklusive. Der künstlerische Leiter Tom Wilmersdörffer freute sich, sein geliebtes Genre, das Lied, mit dem Luxus zu vereinen. Für alle ein Zugewinn? Nicht unbedingt für die Musik. Diese wurde immer wieder von zwanzigminütigen Pausen unterbrochen und konnte kaum ihre volle Wirkung entfalten. Mittelhammer und Ware machten das Beste draus, nämlich einen lebendigen, geselligen Auftritt.

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Quelle:
SZ vom 11.09.2018
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