Süddeutsche Zeitung

Kunst:Pionierarbeit

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Als erstes Museum in den alten Bundesländern zeigt das Museum Kunstpalast in Düsseldorf eine Ausstellung mit DDR-Kunst.

Von Alexander Menden

Manchmal lohnt es sich, bei Gemälden zunächst aufs Material zu schauen, und dann erst auf Motiv und Ausführung, wenn man etwas Grundlegendes über ein Kunstwerk erfahren möchte. Betrachtet man in der Ausstellung "Utopie und Untergang - Kunst der DDR" im Düsseldorfer Kunstpalast etwa Willi Sittes fleischiges Großformat "Drei Akte mit Früchten", und gleich danach Angela Hampels poppige "Judith" mit einem starrenden Holoferneskopf auf dem Teller, dann fällt neben der Tiefe des stilistischen Grabens vor allem auf: Da standen dem einen in einer Mangelwirtschaft alle Mittel zur Verfügung; die andere nahm zum Malen, was da war. Hampel malte ihre nachdenkliche Judith nicht auf Leinwand, sondern auf ein Papierrollo. Wie die Arbeiten von vierzig weiteren Künstlern war sie 1985 beim "Intermedia I"-Festival in Coswig bei Dresden zu sehen. Bei dem Geheimtreffen im Ballsaal eines Klubhauses feierten Künstler, Jazz- und Punkmusiker, vier Jahre vor dem Mauerfall, zwei Tage lang die Gegenkultur des Arbeiter- und Bauernstaats.

Kanzler Schmidt empfand einen DDR-Maler im Kanzleramt als "überaus wünschenswert"

Der Kunstpalast leistet jetzt Pionierarbeit: Erstaunlicherweise ist er das erste Museum in den alten Bundesländern, das seit 1989 eine dezidierte Ausstellung mit DDR-Kunst präsentiert. Dem westlichen Blick auf die Kunst im Osten zwischen 1945 und 1989 ist jedenfalls einiger Platz eingeräumt. Bernhard Heisigs Helmut-Schmidt-Porträt von 1986 etwa war nicht nur dem Wunsch Schmidts nach einer repräsentativen Darstellung entsprungen, die ein DDR-Künstler womöglich leichter liefern konnte als ein westdeutscher. Schmidt hatte es nach eigener Aussage auch als "überaus wünschenswert" empfunden, einen DDR-Maler im Bonner Kanzleramt vertreten zu sehen. Welche Spannungen zwischen West und Ost bestanden, lässt sich allein schon daran ablesen, dass West-Künstler wie Lüpertz und Baselitz 1977 nicht eben erfreut waren, als sie erfuhren, dass sie bei der documenta 6 neben als Staatskünstler wahrgenommenen Malern wie Willi Sitte, Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke gezeigt werden sollten. Sie alle sind auch in Düsseldorf vertreten. Insgesamt 13 Künstler, zehn Männer, drei Frauen, hat Kurator Steffen Krautzig ausgewählt. Es lag ihm daran, sich dabei einer Einteilung in "systemkonform" und "rebellisch", abstrakt und gegenständlich zu entziehen. Dass man diese Werke angesichts der Umstände ihrer Entstehung aber auch nicht allein unter ästhetischen Gesichtspunkten betrachten kann, ist klar. Und dass die Systemkompatibilität bei einigen, namentlich Sitte, gleichsam durch eine Sollübererfüllung sozialistischer Realitätselemente größer erscheint als bei anderen, mag im Auge des Wessi-Betrachters liegen. Tübkes altmeisterlicher Strich etwa wäre auch im Westen mit den zeitgenössischen Strömungen unvereinbar geblieben. Doch gerade wenn man die Arbeiten der Randfiguren, der Solitäre und von Natur aus subversiv erscheinenden Künstler studiert, wird die Einteilung in Staatskunst und Außenseiter zunehmend schwierig.

Heterogene künstlerische Ausdrucksformen finden immer einen Weg zur Entfaltung - selbst im gängelndsten System

Was macht man zum Beispiel mit einem abstrakt, lange gleichsam in einer ästhetischen Monade arbeitenden Maler wie Hermann Glöckner? Selbst eine spätere Einordnung als "Konstruktivist" kommt diesem mit Papierfaltungen arbeitenden Künstler nicht wirklich bei. Jahrgang 1889, Schüler des Jugendstilkünstlers Otto Gussmann, hatte Glöckner ein Großteil seines Vorkriegsœuvres im Zweiten Weltkrieg verloren. Von offizieller Seite zunächst als "formalistisch" beargwöhnt, kurz vor seinem Tod 96-jährig dann aber mit dem Nationalpreis der DDR ausgezeichnet, wähnte er sich 1974 bei einer Ausstellung in der Stuttgarter Staatsgalerie, wo seine Arbeiten neben Malewitsch, Moholy-Nagy und Mondrian ausgestellt wurden, dort angekommen "wo ich hingehöre".

Oder wie ordnet man den virtuos-obsessiven Detailreichtum eines Gerhard Altenbourg ein? Jahrgang 1926, Kriegsveteran, 1950 wegen "gesellschaftlichen Außenseitertums" von der Weimarer Hochschule für Baukunst und Bildende Kunst geflogen, orientierte er sich an Dadaismus und Surrealismus. Tatsächlich gibt es in den Zeichnungen - seinem intrikaten Schmerzensmann "Ecce Homo I (Der Sterbende Krieger)" von 1949 - Berührungspunkte mit dem, was heute unter "Außenseiterkunst" zusammengefasst wird. Auch hier zeigt sich die Ambivalenz eines totalitären, aber klammen Staates zu jenen Künstlern, die den offiziellen Anforderungen zwar nicht entsprachen, im Westen aber ankamen: Er war zwei Jahre im Gefängnis, seine Ausstellungen wurden geschlossen, doch die Devisen aus dem Verkauf seiner Arbeiten, nahm man gern.

So entsteht auch aus der Draufsicht ein zunehmend komplexes Bild von Förderung und Abstoßung, der Erfüllung von Erwartungen und deren Umgehung. In jedem Fall ist es ein begrüßenswertes Unterfangen des Kunstpalastes, diese so verschiedenartigen Figuren unter der Klammer des politischen Systems, in dem sie entstanden, und dessen zeitlicher Begrenztheit nebeneinander zu zeigen. Wenn "Zwischen Utopie und Untergang" eines nachdrücklich vor Augen führt, dann dies: Heterogene künstlerische Ausdrucksformen finden immer einen Weg zur Entfaltung - selbst im gängelndsten System.

Utopie und Untergang - Kunst der DDR im Kunstpalast, Düsseldorf, bis 5. Januar. Katalog 38 Euro .

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SZ vom 20.11.2019
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