Süddeutsche Zeitung

Kunst im öffentlichen Raum:Mit Gedichten gegen den Kapitalismus

Mit seinen öffentlichen Installationen kritisiert Robert Montgomery die Konsumgesellschaft - und schafft doch mehr als Instagram-Kitsch.

Von Julian Dörr

Ein paar große Buchstaben strahlen in die rosige Berliner Dämmerung. Zusammen bilden sie ein Gedicht des schottischen Künstlers Robert Montgomery. "Alle Wunden erklärt, alle Schlösser abgebaut, alle Herzen ungebrochen", heißt es da. Melancholische Zeilen an einem verlassenen Ort, zu einer ganz besonderen Tageszeit. Das klingt zunächst einmal nach Kitsch und Instagram-Poesie.

Ist das schon Street Art? Oder sind das nur verträumte Gedanken eines Melancholikers? Robert Montgomery sitzt zwischen künstlerischen Kategorien - und wird für seine ironiefreie und zuweilen pathetische Kunst im öffentlichen Raum gefeiert.

"Es ist ja ganz nett auf der Biennale in Venedig zu sein," sagte Montgomery in einem Interview mit dem britischen Independent, "aber auf der Straße erreicht meine Arbeit die einfachen Leute. Und das ist für mich von viel grundlegender Bedeutung."

Auch im Stadtbad Wedding in Berlin ist eine von Montgomerys Installationen zu sehen: "All palaces are temporary palaces". Vergänglichkeit ist ein zentrales Thema im Werk des Schotten, doch seine Kunst ist auch durch und durch politisch. "Ich fühle mich verantwortlich dafür, Dinge zu kritisieren, die schlecht laufen", sagte er im Gespräch mit dem Guardian.

Ob Leuchtbuchstaben, Plakatwände oder Steintafeln: Montgomerys öffentliche Gedichte reißen die Menschen aus ihrem Alltag und zwingen sie zum Nachdenken. Eines seiner wichtigsten Themen ist der Klimawandel: "Die ökologische Krise, mit der wir uns konfrontiert sehen, ist die größte Krise unserer Zeit. An dem Umgang mit ihr wird unsere Generation gemessen werden."

Hin und wieder bringt ihn seine Agenda auch in Konflikt mit dem Gesetz. Nachdem Montgomery dieses Gedicht an eine Plakatwand im Londoner Stadtteil Bethnal Green geklebt hatte, wurde er von der Polizei verhaftet. Auf der Rückbank des Streifenwagens entspann sich jedoch eine angeregte Diskussion über Literatur zwischen dem Künstler und einem Polizeibeamten.

Dort, wo sonst Werbeversprechen die Aufmerksamkeit von Menschen erregen, predigt Robert Montgomery Entschleunigung und übt Kapitalismuskritik. Trotz aller Melancholie sind seine Texte beinahe optimistisch.

Als Vorbild dienen dem Künstler die Situationisten, jene Gruppe von europäischen Revolutionären, die Kunst ins Alltagsleben holte, um ihre politischen Forderungen zu propagieren. Der Schotte ist ein poetisch-melancholischer Wiedergänger dieser Bewegung, ...

... der seine Texte auch gerne in Brand setzt, um die Vergänglichkeit aller Dinge zu thematisieren.

Auf diese Weise mischen sich politische Botschaften und poetische Anspielungen - wie bei dieser Installation, die während der Biennale 2011 eine Woche lang durch Istanbul fuhr: "Alles in der Stadt ist perfekt, die Stimmen in den Straßen sind heilig, die Musik und die Straßen gehören niemandem." Ein Plädoyer für Freiheit in einer Gesellschaft, in der Freiheit nicht selbstverständlich ist. So viel Tiefe steckt in Instagram-Poesie nur selten.

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