Süddeutsche Zeitung

Krimikolumne:Das Letzte, was du hörst

Lesezeit: 3 min

Einer will unbedingt dazugehören, zwei wollen Rache, ein anderer, dass es Kunst ist: Kleine Mörder-Typologie der besten neuen Krimis.

Von Fritz Göttler

Zitternd und erregt steht Dickson Steele am nächtlichen Strand von Palisades Park - ein einsamer Ort par excellence. Er fühlt sich verlassen von Laurel, der Frau, die er begehrt und von der er geliebt werden will. Wabernder Nebel, donnernde Wellen, ein Nebelhorn. "Alles in seinem Hirn verkrampfte sich, glühte feuerrot. Er rührte sich lange nicht von der Stelle, in der traurigen, leeren Hülle der Nacht, in der es keine Zeit mehr zu geben schien." Dix war im Weltkrieg als Pilot in England, zurück in Los Angeles findet er keinen Rhythmus, keinen Ort, er gibt vor, einen Kriminalroman zu schreiben, wohnt im Apartment eines Bekannten, der verschwunden ist, und benutzt merkwürdigerweise dessen Auto, Anzüge, Feuerzeug. Er lässt sich aushalten von einem reichen Onkel, mit einem knappen monatlichen Scheck. Ein dreister, kindischer Betrüger, der seinerseits meint, das Leben würde ihn betrügen. Ein Tom Ripley, schreibt Meghan Abbott in ihrem Nachwort der Neuausgabe dieses Romans von Dorothy B. Hughes, aber acht Jahre voraus.

"Ein einsamer Ort" ist 1947 erschienen, die beklemmende Psychopathologie eines Frauenmörders. Schnell kommt die Zeit für Dix zurück an den Strand, ein Hund tappt über den Sand, eine junge Frau, die ihn ausführt, kommt aus dem Dunkel. Und Dickson Steele tut erneut, was nötig ist, um Wut und Selbstmitleid abzubauen, er mordet. Sein Freund Brub Nicolai, mit dem er in England stationiert war, ist nun bei der Polizei von L.A., über ihn kriegt Dix die Ermittlungen aus nächster Nähe mit - und gerät schließlich unter Verdacht.

Man kennt die Laisser-faire-Welt der amerikanischen Westküste aus den Romanen von Raymond Chandler, eine Welt der Geselligkeit, der Ironie und Eleganz. Sogar der Ermittler Brub hat bei allem Stress Zeit für üppige Mittagspausen, für Abende im Club, dezent gekleidet, davor noch ein Drink zur Einstimmung. Dix Steele, der Mörder, der unbedingt dazugehören will, ist das Gegenstück zu Philip Marlowe, dem Detektiv, der gern außen vor bleibt. 1950 wurde das Buch verfilmt, von Nicholas Ray, mit Gloria Grahame und Humphrey Bogart - dem Marlowe in "The Big Sleep". Sein Dix Steele ist hochneurotisch, aber ein Mörder sollte er - Bogart war der Superstar der Vierziger - de facto nicht sein.

Unerbittlich, blutig, explosiv

Ike Randolph hat es geschafft. Hat ein Unternehmen für Rasenpflege, ein bürgerliches Heim in einer angenehmen Suburb, ein paar Angestellte. Ein Afroamerikaner in Virginia, der schließlich seinen Platz gefunden hat, an den Händen hat er die Tattoos von seinen Gefängnisaufenthalten. Bei einer Beerdigung trifft er Buddy Lee, der in einem Trailer lebt, Alkoholiker, white trash, auch er im Knast gewesen.

Es ist die Beerdigung von Isiah und Derek, den Söhnen der beiden alten Männer, beide brutal niedergeschossen im Gangsterstil. In die Trauer mischen sich Schuldgefühle - "Razorblade Tears" ist der Originaltitel des Buchs von S. A. Cosby - ihre Jungs waren homosexuell, ein Paar, haben eine Tochter. Ike wollte das nie wirklich akzeptieren, auch Buddy Lee hat zum Gürtel gegriffen, als er seinen Jungen einen anderen küssen sah. Was Ike und Buddy Lee nun bleibt, ist, was der deutsche Titel verheißt, die "Rache der Väter". und die wird unerbittlich und blutig und explosiv sein: "Eines Tages", verkündet Buddy Lee, "und zwar früher, als du denkst, wird das Letzte, was du hören wirst, dein Herz sein, das zu schlagen aufhört. Und das Letzte, was du je sehen wirst, sind ich und Ike, die es in Händen halten."

Forderungsmanagement

Eine brutale Gewaltaktion findet statt gegen Ende, in einer Kunstgalerie in Frankfurt. Ein Mann vergeht sich am Gemälde einer Frau, es geht um ein Moschinohöschen mit zwei Teddybären, an dem noch das Preisschild zu sehen ist, 63 Euro. Die Künstlerin ist tot, die Erzählerin des Romans, Sonja Slanski, reagiert auf das Geschehen mit einem lautstark herausgeschleuderten Heiner-Müller-Zitat. Die Autorin Sybille Ruge arbeitet gern mit Stoffen und Design, liebt Raumfahrt und Soziologie.

Sonja ist selbständig, betreibt ein Inkassogeschäft, sie nennt es "Forderungsmanagement". Konsequenz schafft Klarheit, steht auf ihren Geschäftsformularen, sie klärt, manchmal mit unlauteren Mitteln, die Differenzen zwischen Geschäftspartnern. Zu ihrem forcierten Professionalismus gehört eine Rossi 971, Blue Steel 4 Inch Barrel. Und die knallharte Selbstdarstellung, die nahezu keinen Satz ohne Pointe lässt, egal ob es um Kunst, Geschäfte, die Existenz allgemein geht.

Eine junge Künstlerin quartiert sich bei Sonja ein, Luna, die gerne posiert, auch sehr abstrakt. Bald findet Sonja sie tot in der Wohnung, mit dem Moschinohöschen. Die Querverbindungen und Assoziationen nehmen kein Ende, und die Beklemmungen der deutschen Großstadt und ihrer kriminellen Auswüchse. Thomas Wörtche, Herausgeber der Suhrkamp-Krimis, erklärt im Suhrkamp-Logbuch ausführlich, weshalb der Verlag diesen Roman als Roman verkauft und nicht als Kriminalroman. Der Mensch erwirbt als Mörder erst den letzten Schliff.

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