Süddeutsche Zeitung

Krieg in Nordsyrien:Kulturgut zerstört

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Die türkischen Streitkräfte haben offenbar im Kampf gegen Kurden eine 3000 Jahre alte Tempelanlage getroffen.

Von Paul-Anton Krüger

Bei der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien ist offenbar ein wichtiges Kulturdenkmal dort schwer beschädigt worden. Der aus späthethitischer Zeit stammende Tempel von Ain Dara, fünf Kilometer südlich der Stadt Afrîn im gleichnamigen kurdischen Kanton gelegen, wurde laut Augenzeugen bei einem Luftangriff getroffen. Friese, die Löwen und Sphingen zeigten, liegen augenscheinlich in Trümmern. Die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte veröffentliche Fotos der in Teilen zerstörten Überreste des mehr als 3000 Jahre alten Bauwerks; unabhängig verifizieren ließen sie sich wegen der Lage in Afrîn zunächst nicht. Aber auch die syrische Antikenverwaltung, die der Regierung in Damaskus untersteht, verurteilte den Angriff. Die internationale Gemeinschaft müsse Druck auf die Türkei machen, archäologische Stätten nicht zu bombardieren. Die türkische Armee hingegen stritt die Vorwürfe ab: Kulturgüter gehörten "definitiv nicht zu den Zielen" ihrer Operation.

Viele Baudenkmäler in Syrien sind in sieben Jahren Bürgerkrieg beschädigt und zerstört worden; die Kulturnihilisten der Terrormiliz Islamischer Staat wüteten in Palmyra ebenso wie im benachbarten Irak, aber auch Regierungstruppen und Rebellen nahmen wenig Rücksicht auf das reiche historische Erbe. Das Gebiet um Afrîn war eines der wenigen, das vom Krieg verschont blieb. Das hat sich geändert, seit die Türkei vor einer Woche begann, es mit Luftangriffen und schwerer Artillerie zu attackieren - offiziell im Bestreben, die kurdischen YPG-Milizen von dort zu vertreiben, die Ankara als Ableger der PKK gelten.

Winfried Orthmann, emeritierter Professor für Vorderasiatische Archäologie an der Universität Halle-Wittenberg, der über den Tempel geforscht hat, sagt, die Reliefkunst und Rundplastiken seien "einmalig und sehr aufwendig". Der aus schwarzem Basalt errichtete Tempel sei "das größte und am besten erhaltene Heiligtum der Zeit um das 11. Jahrhundert vor Christus". Orthmann vermutet angesichts der Bilder, dass der Tempel etwa zur Hälfte zerstört ist. Inschriften legen nahe, dass Siedlungshügel und Kultstätte einst zu einem Königtum mit Zentrum bei der heutigen Stadt Antakya (früher Antiochia) in der Türkei gehörten, sagt Orthmann. Einer seiner Doktoranden, der Syrer Ali Abu Assaf, hatte in den Neunzigerjahren die Ausgrabung geleitet und wissenschaftlich dokumentiert.

Die syrische Antikenverwaltung fürchtet nun auch um eine als Unesco-Weltkulturerbe registrierte Gruppe von 40 historischen Dörfern, die noch einmal 15 Kilometer südlich liegt. Stellenweise sind die in acht Parks angelegten Siedlungen nur 15 Kilometer von der Grenze zur Türkei entfernt; Ankara hat als Ziel seiner Offensive ausgegeben, eine 30 Kilometer tiefe sogenannte Sicherheitszone auf syrischem Territorium etablieren zu wollen. Laut Unesco stellen die Ruinen ein "bemerkenswertes Zeugnis ländlichen Lebens in der Spätantike und byzantinischer Zeit" dar. Sie seien im 1. bis 7. Jahrhundert gegründet und im 8. bis 10. Jahrhundert aufgegeben worden.

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SZ vom 31.01.2018
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