Süddeutsche Zeitung

Konzert:Stürmend, drängend, pur

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Evgeny Kissin spielt Beethoven bei den Salzburger Festspielen - ohne sich wichtig zu machen.

Von Helmut Mauró

Auch wenn er sein spektakuläres Debüt mit Chopins Klavierkonzerten gab, so spielte die Musik Ludwig van Beethovens für Evgeny Kissin immer eine wichtige Rolle. Für sein Klavier-Rezital bei den Salzburger Festspielen legte er nun ein reines Beethoven-Programm auf, das vielleicht auch dem kommenden Jubiläumsjahr geschuldet ist. Beethovens 32 Klaviersonaten sind nach wie vor das größte pianistische Vermächtnis, die Herausforderungen seit ihrer Entstehungszeit kaum schwächer geworden, auch wenn es keine "unspielbaren" Beethoven-Sonaten mehr gibt. Für Kissin gab es die nie; bevor Daniil Trifonov auf den Plan trat, war er der vielleicht beste Techniker.

Auch an diesem Abend im Großen Festspielhaus sah und hörte man fasziniert, wie leicht Kissin alles von der Hand zu gehen scheint. Erst später schleichen sich kleine Ungenauigkeiten ein, vor allem eine etwas nachlässige Phrasierung. Wo früher scharf konturiertes Profil für Charakter und Kontraste sorgte, erscheint manches nun aufgeweicht, mit einem unentschlossenen Portato abgetan. Schon in der Pathétique vermied Kissin die eindeutige Aussage, hielt auf Kosten der Detailspannung klangliche Schwebezustände aufrecht. Dieses Spiel mit ineinander fließenden Stimmungen und Färbungen fand im Adagio einen ersten Höhepunkt. Dennoch blieb Kissin auch hier außergewöhnlich spröde, nahezu abstrakt-objektiv, das ist neu. Er verzichtete beinahe ganz auf das Pedal, ging jeder gefühligen Klangopulenz aus dem Weg, forcierte auch hier, was er besser als andere beherrscht, das unverhetzt Stürmende, Drängende.

Auch in den "Eroica-Variationen" spielte Kissin mit Dynamik, Akzentuierung, Farbe, eigentlich allen musikalischen Parametern - was der Musik in jedem Moment zu plastischer, raumgreifender Gestalt verhilft. Kissin entwickelt Spannungen und Bezüge unmittelbar aus der Musik heraus, aus dem eigenen Hören. Es gibt kein Konzept, das übergestülpt wird. Trotzdem geht es darum, einen neuen Blick auf das Bekannte zu ermöglichen. Der Komponist steht ihm dabei nicht im Weg, sondern bleibt künstlerisch-spirituelles Zentrum.

Das mag Kissin auf den ersten Blick von anderen unterscheiden. Von Ivo Pogorelich, der mit seinen jüngsten Aufnahmen noch einmal seinen Standpunkt klar gemacht hat, dass man Beethoven vor allem als Revolutionär begreifen muss. Oder von Igor Levit - er spielte zwei Tage zuvor im Haus für Mozart -, der sich in einer Art manieristisch aufgeladener Abstraktion mit extremen Kunstpausen von der musikalischen Erzählung distanziert, den melodischen Fluss und die rhythmisch-harmonischen Gebundenheit demontiert, um neuen Raum zu schaffen, um sich selbst zu behaupten und gleichzeitig Künstler und Werk ein bisschen auseinander zu ziehen. Oder von Daniil Trifonov, der Beethoven unter Hochspannung setzt, um dessen existenzialistischen Furor auszustellen.

Er scheint geradezu Angst davor zu haebn, sich zwischen Werk und Publikum zu stellen

Kissin bleibt da etwas im Unklaren, erfreut sich und den Hörer mit spieltechnischer Brillanz - der gnomenhaft ratternde Beginn der "Waldstein-Sonate" gab dafür ein hinreißendes Beispiel - und den daraus sich ergebenden musikalischen Möglichkeiten. Die lebte er in den "Eroica-Variationen" aus - da war vom schlicht Liedhaften über die komplex-kontrapunktische Totale bis hin zum orgelnden Getöse alles dabei. Aber, anders als Levit, öffnet sich Kissin nie ganz dem Publikum, vielleicht nicht einmal sich selber. Er scheint geradezu Angst davor zu haben, sich interessant zu machen, sich zwischen Werk und Publikum zu stellen. Da ist er konservativ, da glaubt er, alles, was zu sagen ist und wie es zu sagen ist, aus der Komposition selber herausholen zu können. Levit und Kissin - das sind zwei ziemlich konträre Herangehensweisen, die aber beide wesentliche Aspekte des Beethoven'schen Komponierens beleuchten können.

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Quelle:
SZ vom 08.08.2019
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