Süddeutsche Zeitung

Konzert:Du, lass dich nicht verhärten

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Der berühmteste Liedermacher und Dissident der DDR, Wolf Biermann, und die berühmteste Sängerin der DDR, Uschi Brüning, haben in der Leipziger Kongresshalle gemeinsam gelesen und gesungen.

Von Ulrike Nimz

Wolf Biermann hängt seine Lederjacke an den Mikrofonständer wie an einen Garderobenhaken. Hallo Schatz, bin zu Hause! Und natürlich muss in der knüppelvollen Kongresshalle am Leipziger Zoo niemandem erklärt werden, wer hier heute liest. Der bedeutendste Liedermacher der DDR trifft auf die bedeutendste Jazz-Sängerin. Uschi Brüning heißt sie und wäre gern in Harlem zur Welt gekommen, es ist aber nur Leipzig geworden. Die Mutter schuftete nicht weit von hier, als Kaltmamsell in einer Gaststätte des Zoos. So steht es in Brünings Autobiografie.

"So wie ich", lautet der Titel. Brüning liest daraus vor, etwas zaghaft, wie aus einem Tagebuch: Die Gerichtssekretärin, die nachts so gut sang, dass sie bald jeder kannte in der kleinen DDR. Ulrich Plenzdorf seufzte in "Die neuen Leiden des jungen W.": "Uschi Brüning! Wenn die Frau anfing, ging ich immer kaputt." Auch ihr Freund Biermann, 1976 ausgebürgert, schenkte ihr ein subversives Gedicht. Es heißt: "Umständliche Aufforderung zur Republikflucht für die Sängerin F."

Der Dichter B. hat seitdem viele Preise gewonnen. Einer der wichtigsten Autoren der Gegenwart sei er, lobt der Moderator. Nur sind Komplimente für Biermann das, was Autospiegel für zornige Nachtschwärmer sind: Er muss sie kaputtmachen. "Prosa kann jeder Trottel", sagt er und Brüning, kaum hörbar: "Na, danke."

"Barbara" heißt Biermanns neuer Band mit Novellen. In einer geht es um Manfred Krug, und wie der einen braven Verkehrspolizisten dazu bringt, wie von Sinnen das Wort "Fotze" zu brüllen. Das Publikum kichert verlegen, als die zwei Silben in den Saal donnern. Dann stellt sich doch noch Applaus ein und die Ahnung: Biermann liest sich unterhaltsamer, als er ist. Bei Brüning verhält es sich genau andersherum.

Eine seltsame Dynamik ist das zwischen den beiden: Biermann, stets einen Tick zu selbstbesoffen, erzählt von der Taxifahrt zum Zoo, wie ihn der Fahrer nach einer Autogrammkarte fragte und die Antwort bekam: "So tief bin ich noch nicht gesunken." Brüning sieht ihn mit einer Mischung aus Nachsicht und Spott an, wie einen alten Kater, der bei der Mäusejagd nur noch den eigenen Schwanz zwischen die Krallen bekommt.

"Ach Uschi", sagt Wolf. "Ach Wolf", sagt Uschi. Dann singen sie, aneinandergelehnt: "Summertime" von Ella Fitzgerald und "Ermutigung", jenes Lied, das Biermann 1968 dem von der Stasi schikanierten Lyriker Peter Huchel widmete, das in Kirchen, Knästen und immer dort gesungen wurde, wo Menschen der Mut auszugehen drohte. "Du, lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit".

Wenn Biermann singt, sinkt er auf eine verträgliche Größe zusammen. Grollt und flüstert, tief über die Gitarre gebeugt, die Augen geschlossen. Vor einem Lied und seinem Text verneigt er sich gern. Uschi Brüning steht neben ihm, ist bereitwillig sein Echo. Sie weiß ja, dass ihre Stimme seine mühelos schluckte, wenn sie nur wollte.

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Quelle:
SZ vom 23.03.2019
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