Süddeutsche Zeitung

Konferenz in Vancouver:Wir schaffen das

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Al Gore macht's vor: Klimawandel? Trump-Wahnsinn? Da hilft nur Optimismus! Und natürlich das Silicon-Valley-Gefühl, Teil einer besseren Zukunft zu sein. Szenen der Ted-Konferenz.

Von Andrian Kreye

Hätte Al Gore seinen Wahlkampf und den Gerichtsstreit um seinen Sieg vor sechzehn Jahren mit der selben Leidenschaft geführt, mit der er auf der Ted Conference 2016 auftrat, hätte die jüngere Geschichte wohl einen anderen Verlauf genommen. "Dreams" lautete das Motto des Ideenfestivals in diesem Jahr. Und es gab einige im Publikum (das vor allem aus Amerikanern besteht, von denen viele aus der Gegend rund um das Silicon Valley anreisen, zu dessen Vororten inzwischen ja auch San Francisco und Hollywood zählen), die laut träumten, was geschehen wäre, wenn sich der Supreme Court im Streit um den Wahlausgang damals für Al Gore und nicht für George W. Bush entschieden hätte.

Die Geheimdienste hätten keine Carte blanche für Massenüberwachung, Folter und Verschleppung bekommen. Die Wissenschaften hätten mit staatlicher Unterstützung statt behördlichen Hemmschuhen sehr viel mehr erreichen können. Das Internet wäre eine öffentliche Infrastruktur und kein Monopolgeschäft. Und die USA hätten die weltpolitische Führung im Kampf gegen den Klimawandel wohl viel früher übernommen, als jetzt, im Endspurt von Obamas zweiter Amtszeit.

Ein guter Teil der "Ted Talks" hätte sich da in den letzten Jahren wohl erübrigt, also jener Vorträge, die nach den Konferenzen als Internetvideos ein millionenfaches Nachleben entwickeln. Denn längst geht es in der Woche, die immer noch unter dem Dreisprung Technology, Entertainment und Design (= Ted) steht, nicht mehr nur um die digitale, sondern auch um die humanistische Zukunft der Menschheit.

Wäre in jener anderen Welt der junge Staatsanwalt Adam Foss so für seine Erkenntnis gefeiert worden, dass vor Gericht der Beginn der Rehabilitation und nicht das Ausmaß der Strafe verhandelt werden sollte? Hätte der Leiter des konservativen Think-Tanks American Enterprise Institute, Arthur Brooks, so außergewöhnlich gewirkt, bloß weil er sagte, dass das Wechselspiel konservativer und progressiver Werte die Grundlage einer gesunden Demokratie sind?

So witzelte der Gründer der Mitwohnzentrale Air BnB, Joe Gebbia, als er bei seinem Vortrag über Vertrauensbildung im Netz ein Publikumsexperiment durchführte, bei dem alle im Saal als Vertrauensbeweis ihr entsperrtes Handy dem Nachbarn in die Hand drückten sollten: "Wer auch immer Al Gores Handy bekommen hat - twittern Sie über sein Konto doch schnell mal ,Ich trete wieder zur Wahl an'".

Was Al Gore dann in seiner Viertelstunde präsentierte, war eine Neufassung seines inzwischen schon legendären Vortrags, aus dem 2006 ein Ted Talk und dann der Film "Eine unbequeme Wahrheit" wurde. Der ihm dann den Oscar und den Friedensnobelpreis einbrachte, weil er das Verhältnis Amerikas zum Klimawandel um 180 Grad drehte. Auch im kanadischen Vancouver begann Gore seinen Vortrag wieder mit einem Sperrfeuer wissenschaftlicher Tatsachen, die zeigten, dass die Erderwärmung nicht nur ein lebensbedrohliches, sondern ein menschengemachtes Phänomen ist, und als solches eben auch von den Menschen bekämpft werden muss.

Der entscheidende Unterschied - das war keine weltliche Pech- und Schwefelpredigt mehr, sondern ein flammendes Plädoyer für einen kämpferischen Optimismus. Länder wie Deutschland hätten es doch längst vorgemacht, rief er in den Saal. Und gerade das Silicon Valley habe doch zum Beispiel mit der weltweiten Verbreitung von Mobiltelefonen bewiesen, dass sich neue Technologien heute mit enormer Geschwindigkeit durchsetzen ließen.

"Ich bin extrem optimistisch", sagte er am Ende seines Vortrags, den er in der Tradition amerikanischer Politpredigten mit einem rhetorischen Crescendo zum feurigen Aufruf steigerte. Wobei es hilft, wenn man wie Gore einen warmen Südstaatenakzent pflegen kann, der zumindest emotional schon mal den Verdacht linker Propaganda entkräftet. Das riss das Publikum buchstäblich von den Sitzen. Sehr überzeugend für einen Mann, der in seinen Jahren als Politiker für vieles gefeiert wurde, aber nicht für furiose Auftritte.

Der Pariser Klimagipfel gelang, weil man von Konfrontation auf Kollaboration umschaltete

Gores kämpferischer Optimismus war keine reine Rhetorik. Christiana Figueres, die Klimachefin der Vereinten Nationen, verriet in ihrem eigenen Vortrag, dass pragmatischer Optimismus eine alles entscheidende neue Strategie sei. Der Gipfel in Paris sei jedenfalls nur deshalb gelungen, weil man von Konfrontation auf Kollaboration umgeschwenkt sei. Nur weil man alle beteiligten Nationen davon überzeugen konnte, dass der Kampf gegen den Klimawandel langfristig wirtschaftliche Vorteile bringen werde.

Es war aber nicht nur die Figur Al Gore, die bei den Besuchern der Ted Conference solche schmerzhaften Momente politischer Nostalgie auslöste. Innerlich verabschieden sich in diesem Wahlkampf schon viel zu viele US-Wähler von jenem Amerika, das auch der Rest der Welt so liebt. Von einem Amerika, das Vernunft, Weitsicht und Nachhaltigkeit pflegt, den kalifornischen Geist eben.

Die Spitzenkandidaten jedenfalls stehen für das genaue Gegenteil. Donald Trump sowieso. Der propagiert einen radikalen Isolationismus, der Silicon Valley an den Rand der Funktionsfähigkeit bringen würde - erst neulich bestätigte eine Studie der Stiftung für Informationstechnologie and Innovation Foundation, dass ein Drittel aller Patente von Wissenschaftlern und Ingenieuren mit Migrationshintergrund erarbeitet wurde. Hillary Clinton wiederum steht mit ihren engen Verbindungen zur Wall Street für einen Kapitalismus, in dem Allgemeinwohl und Börsenkurse grundsätzlich gegenläufige Kurven ergeben.

Da funktionieren die Mächtigen aus dem Silicon Valley zumindest dem Anspruch nach ganz anders. Am Gipfel ihrer Macht treibt sie der Drang um, Gutes zu tun. Und weil sie aus der Welt der Ingenieure und Wissenschaftler kommen, die von Berufs wegen Probleme lösen wollen, können sie das auch glaubhaft vermitteln. So stecken sie viel oder sogar all ihr Geld in Projekte, welche die Welt zu einer besseren machen sollen.

Es passiert gar nicht so selten, dass sie die auf der Ted Conference finden. Die Zusammenkunft von Geld und Geist dort ist kein Zufall. So bildet die Rednerliste jedes Jahr eine Art Weltverbesserungskanon. Die Bildungsaktivistin Reshma Saujani will zum Beispiel Mädchen dazu bringen, das Programmieren zu lernen, weil der Fachkräftemangel in der Tech-Industrie und das kulturell bedingte Ehrgeiz-Defizit junger Frauen eine reine Verschwendung intellektuellen Potenzials sind. Der Unternehmer Hugh Evans sucht nach marktwirtschaftlichen Methoden, Armut zu bekämpfen. Der bolivianische Kardiologe Franz Freudenthal hat eine Methode entwickelt, Herzkrankheiten bei Kindern in der Dritten Welt mit minimalem Aufwand zu heilen. Es gehört schon eine unangenehm große Portion Zynismus dazu, sich darüber lustig zu machen.

Dann war da diese Brille - die digitale Welt wird als Hologramm eingeblendet

Und dann sind da noch die Momente, in denen Silicon Valley zeigt, dass es die Fantasien der Science-Fiction-Welt längst überholt hat. In einem Nebenraum der Kongresshalle konnte man beispielsweise die Brille der Start-up-Firma Meta aufsetzen. Jaja, es gab natürlich auch die Virtual-Reality-Geräte in allen möglichen Größen und Ausformungen. Die Brille von Meta funktioniert ganz anders. Die Umwelt wird nicht ausgeblendet. Man sieht alles. Die digitale Welt wird als Hologramm eingeblendet. Da standen Webseiten und Grafiken frei im Raum. Ein Anrufer erschien wie Prinzessin Leia in "Star Wars" vor einem, reichte einem ein Architekturmodell, das man bewegen und zerlegen konnte. Dagegen wirkt die viel zitierte Szene aus "Minority Report" mit Tom Cruise an der Computerscheibe wie altmodischer Kintopp.

Kurz vor Schluss der Konferenz trat die Sängerin Amanda Palmer mit einer David-Bowie-Hommage auf, weil in diesen Tagen kaum eine Veranstaltung drum herumkommt, den im Januar verstorbenen Popsänger wie einen Heiland zu verehren. Sie sang - natürlich - Bowies Hymne an das Weltraumzeitalter, "Space Oddity". Und während der Text vom Major Tom auf dem Weg in seine Raumstation erzählte, hörte man wie im Original einen Countdown aus dem Off. Ein Scheinwerfer blendete langsam auf. Siehe da! Al Gore zählte ein: "Seven. Six. Five . . ." bis zum "Liftoff".

Konferenzchef Chris Anderson kam nach dem Song auf die Bühne und hatte Tränen in den Augen. Auch im Publikum wurde viel getupft. War das nicht das perfekte Abschiedslied? Für so vieles?

Man muss den Symbolwert dieses Moments aber nicht überbewerten. Nichts ist dem kalifornischen Geist fremder als die Melancholie. Was von dieser Woche bleiben wird, ist eben nicht der Abschied von Major Tom. Es ist Al Gores extremer Optimismus. Den darf man im Wahljahr 2016 ruhig als Kampfansage verstehen.

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Quelle:
SZ vom 01.03.2016
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