Süddeutsche Zeitung

Klassikkolumne:Gewaltlos elegant

Lesezeit: 2 min

CDs von den Pianisten Sandro Nebieridze, Vincenzo Maltempo, Martin Stadtfeld und George Li. Außerdem: Wiederveröffentlichungen des zu Unrecht vergessenen Musikerzählers Raymond Lewenthal.

Von Helmut Mauró

Ein Multitalent, ein Musiker ganz alter Schule. Der inzwischen 18-jährige Pianist und Komponist Sandro Nebieridze reüssiert in beiden Bereichen glamourös. In seiner georgischen Heimat wurde er mehrfach als bester Komponist ausgezeichnet, und auch als Pianist errang er Preise. Aber der frühe Ruhm ist eine Sache, die musikalische Substanz eine andere. Auf seiner ersten Solo-CD (harmonia mundi) sucht er die Herausforderung in Sergei Rachmaninows zweiter Klaviersonate und dessen Études Tableaux sowie in Sergei Prokofjews Suite "Romeo und Julia" und dessen vierter Sonate. Der Ernst und die Leichtigkeit, mit denen er die schwierigen Werke angeht, ist staunenswert und ganz offensichtlich nicht nur seiner Jugend geschuldet. Insbesondere bei Rachmaninow entdeckt er Facetten und Ausdrucksbereiche, die man zumindest, bevor Daniil Trifonov auf den Plan trat, kaum vermutete. Dieser Pianist ist eine Bereicherung.

Das Repertoire des 1985 in Benevento geborenen Pianisten Vincenzo Maltempo erscheint für italienische, aber auch für deutsche Verhältnisse recht eigenwillig. Franz Liszt kennt man, aber wer sind Sergei Lyapunov, Charles Mayer, Viktor Kossenko, Charles Alkan? Und brauchen wir die Klaviersonaten von Alexander Glasunow oder Mili Alexejewitsch Balakirew? Ja, brauchen wir. Vor allem, wenn sie so leidenschaftlich vorgetragen werden wie von Maltempo, dessen Album mit sämtlichen Klaviersonaten Alexander Skrjabins (Piano Classics) ein weiteres Highlight seiner anspruchsvollen, höchst interessanten Diskografie geworden ist.

Auch er geht weiterhin seinen ganz eigenen Weg: Martin Stadtfeld, der einst mit den kleineren Klavierwerken Johann Sebastian Bachs Erfolg hatte, hat sich seinen weichen, lyrischen Klavierton bewahrt und verbeugt sich auf seinem neuen Album "Händel Variations" (Sony) bei dem großen Bach-Zeitgenossen aus Halle und London. Er hat dafür recht bekannte Stücke Händels für Klavier arrangiert und ist dennoch der Kitsch-Falle entkommen, weil er diesen speziellen Ton hat und aus jeder Petitesse eine tiefenräumliche Meditation entwickelt.

Wegen Tschaikowskys b-Moll-Konzert, obgleich sehr fein geboten, wird man diese CD des Bostoner Pianisten George Li vielleicht nicht hören. Spätestens bei den darauffolgenden Solostücken aber wird man aufhorchen: ausgefeilte Technik, Sinn fürs Melodische und Gesamtklangliche sowie ein grundmusikalisches gestalterisches Verständnis, das gleichermaßen lyrisch und dramatisch überzeugt. So gewaltlos elegant und kraftvoll unpompös hat man Franz Liszts "Années de pélerinage" lange nicht gehört; leider spielt er nur Teile daraus. Gleiches gilt für die wunderbar schaurigen "Réminiscences de Don Juan" (Warner Classics). Es wundert nicht, dass George Li 2015 die Silbermedaille des Tschaikowsky-Wettbewerbs erhielt und im Weißen Haus für Obama und Merkel spielte. Mehr geht ja kaum.

Die kompletten Lisztschen Pilgerjahre gibt es aber, sehr beeindruckend, von Raymond Lewenthal in der verdienstvollen Sony-Reihe der Wiederveröffentlichungen zum Teil zu Unrecht vergessener Pianisten. Zu denen gehört Lewenthal zweifellos, allein schon wegen seiner gefassten, ruhigen Liszt-Annäherung, die aufs Hintergründige aus ist und weniger auf schiere Virtuosenlorbeeren. Die verdient er sich lieber in den Stücken des fast nur in Pianistenkreisen bekannten französischen Klaviermagiers Charles Valentin Alkan. Da zeigt sich dann doch der glamouröse Tastenzauberer und ehrgeizige Musikerzähler Lewenthal - er ist wahrscheinlich der beste Alkan-Exeget überhaupt. Zunächst wurde Lewenthal war mehrere Jahre lang als Kinderstar in Hollywood bekannt, bevor er bei Lydia Cherkassy Klavier studierte, dies an der Juilliard School fortsetzte, schließlich in Europa bei Alfred Cortot und Guido Agosti. 1948 lud ihn dann der legendäre Dirigent Dmitri Mitropoulos nach Philadelphia - Lewenthals Karriere schien unaufhaltsam. Bis er 1953 bei einem Spaziergang im New Yorker Central Park von einer Schlägerbande krankenhausreif geprügelt wurde. Knochenbrüche an Armen und Händen legten den Pianisten physisch, aber auch psychisch, über Jahre lahm. Das große Comeback gelang ihm erst zwölf Jahre später. Und leider begann er auch erst dann, Schallplatten aufzunehmen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4676972
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.11.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.