Süddeutsche Zeitung

Klassikkolumne:Dass jemand dazu tanzt

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Ein Wunderkind aus China am Klavier, die Frage, wie viele Einspielungen es von Bachs Französischen Suiten und Bruckners Klaviermusik braucht sowie die Antwort darauf, wie man Quadrillen so klingen lässt, als müsse man zu ihnen tanzen.

Von Helmut Mauró

Schon als Fünfjähriger trat der Pianist Haochen Zhang in der Shanghai Music Hall auf, mit 12 tourte er durch seine chinesiche Heimat, mit 19 gewann er den Van-Cliburn-Wettbewerb im texanischen Fort Worth. Von da an ging's bergauf. Auf seinem jüngsten Album mit Sergei Prokofjews zweitem Klavierkonzert und Peter Tschaikowskys erstem (BIS) kann man hören, warum. Zhang scheint wie nur wenige Pianisten trotz des großen, nur indirekt tonbildenden Konzertflügels, der sich oftmals mächtig vor die Komposition stellt, einen direkten Draht zum Werk zu haben. Einen intimen Zugang, den er auch dem Hörer gerne zeigt. Und auch wenn er hierzulande noch so unbekannt ist wie das Symphonieorchester von Lahti oder der Dirigent Dima Slobodeniouk, die ihn aufmerksam begleiten, so sollte man sich davon nicht abschrecken lassen. Selbst Tschaikowsky klingt hier weniger wuchtig als üblich, scheint mit sich und der Welt im Reinen - die schönsten Klischees finden hier ein virtuos zertrümmertes Ende.

Vor beinahe siebzehn Jahren hat der Pianist Andreas Staier zwei zauberhafte Klavierkonzerte des böhmischen Komponisten Johann Ladislaus Dussek eingespielt (Capriccio); man staunte über einen vergessenen Zeitgenossen Mozarts. Nun hat sich das ehrgeizige Budget-Label Brilliant Classics daran gemacht, die Klaviersonaten Dusseks mit unterschiedlichen Pianisten herauszubringen. Es ist aber nicht jeden Tag Sonntag im Musikbetrieb, und die zuletzt erschienenen Sonaten mit Zvi Meniker irritieren nicht nur durch ein falsches Aufnahmedatum, sondern auch durch eine Grundhaltung, die sich an den vielleicht als nebensächlich empfundenen Stücken orientiert. Sie zeigt sich in der - zum Teil sicherlich der historischen Instrument geschuldeten - hölzernen Melodiegestaltung wie auch einem oft ausufernden rubato. Dusseks Klaviersonaten werden wohl keinen vorderen Platz in der Musikgeschichte erringen, aber sie könnten neben den Sonatinen von Muzio Clementi, denen sie nahestehen, das Schülerrepertoire charmant bereichern. Und nachdem für jede neue Lieferung ein neuer Pianist antritt, könnte die Gesamtproduktion doch noch eine gelungene Überraschung werden.

Auch auf die Klaviermusik des Großsymphonikers Anton Bruckner hat die Fachwelt die längste Zeit nicht gewartet. Im letzten Jahr erschien eine zaghaft angegangene Einspielung (Hänssler), nun aber nimmt sich der Pianist Francesco Pasqualotto der Sache an (Brilliant Cl.), und auf einmal klingen die Quadrillen so, dass man sich zumindest vorstellen kann, dass jemand dazu tanzt. Insgesamt bleibt Pasqualotto aber etwas zu vornehm, zu zaghaft - mehr rhythmische Schärfe und Präzision täte den Stücken gut. Man darf auf eine weitere Einspielung von Bruckners überschaubarem Klavierwerk hoffen. Es wird von mal zu mal besser.

Was Johann Sebastian Bachs Französische Suiten betrifft, ist es eher umgekehrt. Sie wurden oft aufgenommen, oft sehr gut, sodass man dem Mehrwert einer Neueinspielung erst einmal bezweifeln mag. Der renommierte chinesische Pianist Yuan Sheng traut sich dennoch (Piano Classics); es ist sein viertes Bach-Album. Shengs Zugang erscheint heute beinahe antiquiert, so sehr bemüht er sich um den Melodiker Bach, so wenig schert er sich um eine didaktisch profilierte Herausarbeitung von Technik und Struktur. Was nicht heißt, dass diese nicht klar hörbar ist. Manchmal merkt man, dass er auch bei der legendären New Yorker Bach-Apologetin Rosalyn Tureck studiert hat. Der liebevolle Respekt vor dem Komponisten und die Freude am Werk sind immer Teil der Aufführung.

Zum Schluss noch eine wahre pianistische Wundertüte: Vor kurzem erschien auf 12 CDs eine umfangreiche Sammlung französischer Klavierkonzerte (Brilliant Classics), die viele nie gehegte Wünsche erfüllt. Man kennt die allermeisten Werke einfach nicht, was ein Jammer ist. Die Konzerte von Poulenc, Ravel, auch Saint-Saens mag man hin und wieder im Konzertsaal erleben, aber wann hat man je das F-Dur-Konzert von Francois-Adrien Boieldieu gehört - das mit dem herrlichen Dudelsack-Effekt zweier Oboen im Finale? Oder das von Gabriel Pierné, Cécile Chaminade oder das etwas langweiligere von Reynaldo Hahn? Mit Nadia Boulanger und Germaine Tailleferre sind auch zwei renommierte Komponistinnen dabei.

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SZ vom 23.07.2019
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