Süddeutsche Zeitung

Klassikkolumne:Adel verpflichtet

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Schonmal was gehört von Sigismond Thalberg? Oder Prinz Johann Ernst von Sachsen-Weimar? Der eine war ein Zeitgenosse von Brahms. Der andere komponierte im Stil von Vivaldi. Die fünf Klassik-Neuerscheinungen der Woche

Von Helmut Mauró

Vielleicht steht der Pianist Andrea Lucchesini selber noch so stark unter dem Eindruck des Werkes, dass er in seinem Spiel nicht die volle Freiheit hat, beim Publikum ebenso starke Wirkung zu erzielen. Gerade in den Forte-Phrasen wirkt er ein bisschen gehemmt, was dazu führt, dass aus dem Forte ein Fortissimo wird, das mehr Aggression als Kraft vermittelt. Aber dann kommen ja, gerade im Spätwerk von Franz Schubert, dem sein neues Album gewidmet ist, auch die leisen und sanften Passagen, und da entfaltet Lucchesini erstaunliche Präsenz und Zärtlichkeit. Die letzten Schubert-Klavierwerke, hier die A-Dur- und die a-Moll-Sonate (audite), seien seine neue große Liebe, sagte Lucchesini, und das ist, auch wenn er dabei manchmal wie im jugendlichen Rausch handelt, durchaus ein ästhetisch legitimer Ansatz.

Auch der britische Pianist Mark Viner hat sich mit dem Objekt seiner Darbietung offenbar eng befreundet: "Apothéose & Fantasies on French Operas" des österreichischen Liszt-Zeitgenossen Sigismond Thalberg (Piano Classics). Im 19. Jahrhundert wurde er noch als einer der größten Klaviervirtuosen gefeiert. Heute ist er aus den Konzertsälen verschwunden, weil man gelernt hat, diese Art des glamourös flirrenden Hochvirtuosentums, das durchaus intellektuelle Struktur hat, als unoriginelles, substanzloses Blendwerk abzutun. Mark Viner hingegen kann sehr überzeugend darlegen, dass diese Musik nicht nur geschwinde Finger, sondern auch einen neugierig freien Geist erfordert. Letzteres auch beim Hörer, wenn er Gewinn daraus ziehen will. Selbst wenn man die zugrunde liegenden Opernoriginale nicht im Ohr hat, ja dann vielleicht sogar noch mehr, ist man von der Kunstfertigkeit und Eleganz dieser Musik hingerissen.

Das neue Album des Oboisten Albrecht Mayer gehört sicherlich zu seinen besten überhaupt. Das betrifft zum einen die Werkauswahl mit Stücken von Edward Elgar, Richard Strauss, Maurice Ravel und Eugène Goossens (DG), vor allem aber die Perfektion und Musikalität, mit der sich Mayer in jede einzelne Phrase versenkt. Dabei geht es durchaus auch um Genuss und Klangkultur, was heute oft schon als Zeichen mangelnder intellektueller Potenz und Aufrichtigkeit umgedeutet wird. Aber einen Ton im leeren Raum so verklingen zu lassen, dass er nicht abstirbt, sondern im Hörer weiterschwingt, wie das bei Elgar unbedingt gefordert ist, das ist eine hohe Kunst, die nicht mehr selbstverständlich ist. Die Bamberger Symphoniker unter Leitung ihres Chefs Jakub Hrusa tragen ihren Anteil dazu bei, das Oboenkonzert von Richard Strauss wird auch dank des Orchesters zu einem der Höhepunkte.

Nicht alle Angehörigen des mit der Weimarer Verfassung von 1919 aufgehobenen deutschen Adels waren moralisch und geistig dekadent, wie das in Romanen beinahe die Regel ist. Es gab begnadete Briefeschreiber, Diplomaten, aber auch musikalische Künstler - Ausführende wie Komponisten. Zu letzteren gehört Prinz Johann Ernst von Sachsen-Weimar, der im Dunstkreis von Georg Philipp Thelemann, Johann Gottfried Walther und Johann Sebastian Bach eine Reihe barocker Virtuosenkonzerte schrieb, die in ihrer prächtig munteren Art an Vivaldi erinnern, und doch eine eigene Handschrift aufweisen (audite). Das Thüringer Bach-Collegium ermöglicht diese erstaunliche wie erfreuliche Entdeckung.

Gleich drei Editionen großer Geiger hat die Deutsche Grammophon neu im Angebot. Neben der Legende Nathan Milstein sind dies die lebenden Großmusiker Gil Shaham und Shlomo Mintz. Letzterer präsentiert auf 15 CDs die ganze Bandbreite seines Könnens, von Bach bis Bartók und Kreisler. Spieltechnisch sind sie alle gleichermaßen auf der Höhe, musikalisch dennoch recht unterschiedlich in ihrer Art, gerade der gängigen Musik des 19. Jahrhunderts zu begegnen, den großen Violinkonzerten, die noch heute die Konzertsäle beherrschen. Dabei kann man bei Mintz erfahren, wie sehr man das D-Dur-Konzert von Johannes Brahms mit Leidenschaft und Herzblut erfüllen kann, ohne es dem Kitsch preiszugeben. Das hört man eigentlich so nur noch in sehr alten Aufnahmen. Die Berliner Philharmoniker unter Leitung von Claudio Abbado lassen sich von dem sinnlichen, beinahe süßlichen Klang anstecken. Herber, auch träger klingen sie dagegen mit dem selben Konzert bei dem Solisten Gil Shaham.

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SZ vom 28.05.2019
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