Süddeutsche Zeitung

Klassik-Festival:Leuchtende Leichtigkeit

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Die Eröffnung der Herrenchiemsee-Festspiele

Von Egbert Tholl, Frauenchiemsee

Es bleibt ein Gefühl der Leere, wenn man zur Eröffnung der Herrenchiemsee-Festspiele fährt und an der Autobahnausfahrt Neubeuern vorbeikommt. Den Chor dort gibt es nicht mehr, Enoch zu Guttenberg lebt nicht mehr, die Festspiele gehen weiter. Daran sieht man auch, dass Guttenbergs Idee gut war.

Wie stets findet die Eröffnung im Münster der Fraueninsel statt. Und es spielt das Orchester der Klangverwaltung, das durch Guttenbergs durchaus eigenwilliges, aber unnachgiebiges Experimentieren an einem Originalklang, der nicht akademisch gemeint ist, längst bereit ist, mit einem in dieser Hinsicht euphorischen Fach-Dirigenten wie Fabio Biondi zusammenzuarbeiten. Biondi agiert als Solist - Solopart in Vivaldis Violinkonzert D-Dur RV 222 - wie als Dirigent, er spielt auch sonst im Orchestersatz mit, wo es ihm möglich ist. Er ist ein glühender Musiker, und das Orchester folgt ihm in seiner schlanken Besetzung aufs Aufmerksamste. So entsteht eine fast schon ergreifende Ernsthaftigkeit.

Auf dem Programm: ausschließlich Vivaldi, neben dem Violinkonzert das "Stabat Mater" und das "Gloria". Kurz denkt man an eine phänomenale "Johannespassion" am selben Ort vor zwei Jahren. Vivaldi ist anders als Bachs Bekenntnismusik, leichter, viel weniger unabdingbar. Und dadurch auf eine gewisse Art schwieriger. Die Mezzosopranistin Olivia Vermeulen braucht lange, bis sie sich stimmlich im "Stabat Mater" wohlfühlt. Die Partie liegt oft nicht ideal für sie, changiert zwischen opernhaften und rezitativischen Passagen. Vermeulen wirkt anfangs sehr scheu, findet in den letzten drei Sätzen aber zu einem ariosen Selbstbewusstsein und einem Gestaltungswillen, der auch ein klug gesetztes Vibrato einschließt.

Das "Gloria" ist dankbarer, üppiger. Ein wunderbarer Oboen-Solist kommt hinzu, die Sopranistin Roberta Invernizzi und der Kammerchor der Klangverwaltung. Es braucht nicht viele Musiker, um das Münster mit herrlichem Klang zu füllen. Auch Vermeulen blüht nun auf, alles ist sehr fein gestaltet, Olga Watts an Orgel und Cembalo wie so oft ein feinsinniger Traum, eine wunderzarte Begleiterin. Leider brummt das Continuo-Cello reichlich grob dazu. Aber es stellt sich, auch dank Biondis' Enthusiasmus, ein beglückendes Erleben ein, nicht unbedingt von den letzten Glaubensfragen, aber von leuchtender Schönheit.

Die Festspiele laufen noch bis 28. Juli. Nicht verpassen sollte man am 26. Juli das Konzert mit Revolutionsmusiken, die die Hofkapelle München unter Rüdiger Lotter spielt. Beethovens "Eroica" in der Erstfassung für sehr schlankes Orchester (fünf erste Geigen), die erste Symphonie des von Beethoven bewunderten Étienne-Nicolas Méhul, Ausschnitte aus François-Joseph Gossecs "Le Triomphe de la République", entstanden drei Jahre nach der Französischen Revolution.

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Quelle:
SZ vom 18.07.2019
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