Süddeutsche Zeitung

Klassik:Alfredo Campoli

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Komisch, dass der italienische Geiger hierzulande kaum bekannt ist. Aber was soll's, das kann sich dank Decca und deren sechs Doppel-CDs jetzt ja ändern.

Von Harald Eggebrecht

Ein Römer, der in England zu einem der bedeutendsten Geiger des 20. Jahrhunderts wurde, das war Alfredo Campoli (1906 - 1991). Als die Mutter, die schon mit Enrico Caruso und Antonio Scotti gesungen hatte, nach London engagiert wurde, zog 1911 die Familie mit. Der Vater, Konzertmeister der Accademia di Santa Cecilia, muss ein sehr guter Lehrer gewesen sein, denn der hochtalentierte Sohn verfügte über einen wunderbar warmen, von innen leuchtenden, "sprechenden" Ton, sichere Technik, die bis ins Alter hielt. Dazu eine ungemein geschmeidige Bogenführung und untrüglicher Geschmack. Wahrlich ein Belcanto-Geiger!

Er begann als Wunderkind, doch während der großen Rezession musste sich Campoli in den Zwanziger- und Dreißigerjahren als Stehgeiger in eigenen Salonorchestern und -bands behaupten und wurde damit berühmt. Auf Youtube kann man ihn elegant im Frack sehen, wie er auch Schlager nie schmalzig, sondern nobel und delikat darbietet. Während des Krieges spielte er vor Soldaten und Arbeitern zahllose Konzerte. Erst nach 1945 konnte er sich ganz dem großen Repertoire widmen. Er bereiste die Welt, von Dirigenten wie George Szell und Kollegen wie David Oistrach hochgeschätzt. In Deutschland blieb er fast unbekannt.

Zu Unrecht, wenn man in die Aufnahmen aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren hineinhört, die jetzt in einer Edition von sechs Doppel-CDs erschienen sind (Decca). Bei Campoli gibt es - etwa in der Havanaise von Camille Saint-Saëns, in der Schottischen Fantasie von Max Bruch oder in Edward Elgars Riesenkonzert - nichts Aggressives, keine vordergründige Ausdruckshuberei. Die Virtuosität dieses Meisters sanft leuchtender Farben, unaufdringlicher Eleganz und hinreißenden Violingesangs geschieht gleichsam en passant. Hier wird kein Geiger-Ego ausgestellt, nicht geprotzt, sondern die Kunst eines weltmännischen, abwechslungsreichen, im besten Sinne einnehmenden Parlandos gepflegt. Allein die Lagenwechsel lassen staunen in ihrer Feinheit, die rhythmische Akkuratesse erst recht. Alfredo Campoli bezaubert mit vornehmer Überredungs-kunst!

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Quelle:
SZ vom 31.03.2018
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