Süddeutsche Zeitung

Kino:Im Tränengas

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Der Film "Hamburger Gitter" ist ein erschreckendes Dokument der Polizeieinsätze beim G-20-Gipfel. Er entstand quasi ohne Budget, aus bestehenden Aufnahmen. Seine bloße Existenz ist Grund zur Hoffnung.

Von Philipp Bovermann

Manchmal entstehen gute Filme allein dadurch, dass man Bilder, die Angst machen, kommentiert. Auch die Polizei hat ein Interesse daran, solche Bilder zu produzieren. Diese Erkenntnis nimmt man aus dem Film "Hamburger Gitter" über den Einsatz beim G-20-Gipfel mit, der nun auf einer kleinen Kinotour zu sehen ist. Die Aufnahmen gingen durch die Nachrichten. Polizisten in schwarzen Kampfanzügen, die ohne Vorwarnung losstürmen und einen Demonstrationszug niederknüppeln. Flüchtende Demonstranten, die eine Mauer hinabstürzen, auf andere fallen, die dort schon liegen, teils mit offenen Knochenbrüchen. Eine junge Frau in bunten Klamotten, die mit Pfefferspray vom Dach eines gepanzerten Fahrzeugs gesprüht wird, als wäre sie ein Insekt.

Wer so etwas sieht, überlegt es sich bei der nächsten Großdemonstration zweimal, ob es nicht vielleicht doch klüger wäre, zu Hause zu bleiben. "Obwohl die Veranstalter sich einig waren, da soll jeder mitgehen können, die Frau mit Kinderwagen genauso wie der Mann im Rollstuhl, hat die Behörde ständig versucht, die Gewalt herbeizureden." Sagt Gabriele Heinecke, die im Vorstand des Republikanischen Anwaltsvereins sitzt und während des Gipfels im anwaltlichen Notdienst tätig war. Sie ist eine von mehreren im Film interviewten Expertinnen und Experten, die zu dem Schluss kommen: G20 war, so heißt es im Untertitel, ein "Schaufenster moderner Polizeiarbeit". Sich die noch mal in der Praxis anzuschauen, lohnt sich besonders, seit die in Hamburg generalerprobten Praktiken mit dem in Bayern verabschiedeten Polizeiaufgabengesetz das freistaatliche Gütesiegel erhalten haben, und von dort aus Schule zu machen drohen.

In München gingen Zehntausende auf die Straßen. Auch die Frau mit Kinderwagen und der Mann im Rollstuhl.

"Hamburger Gitter" entstand quasi ohne Budget, größtenteils aus bestehenden Aufnahmen. Seine bloße Existenz ist trotz allem Grund zur Hoffnung. Auch die Zivilgesellschaft betreibt heute Videoüberwachung.

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Quelle:
SZ vom 30.06.2018
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