Süddeutsche Zeitung

Plakatkunst: "Berlin W":Wie man einen Herrn mit Verhältnis grüßt

Lesezeit: 3 min

Der jüdisch-deutsche Karikaturist und Autor Edmund Edel schuf mit "Berlin W" einen Bestseller und ein unsterbliches Album der besseren Gesellschaft.

Von Lothar Müller

Wie der Holzschnitt gehört das Plakat zu den Opfern der Alltagssprache. Hartnäckig verkuppelt sie das "Holzschnittartige" und "Plakative" mit dem grob Ungefähren, der pauschalen Behauptung, dem Mangel an Konkretion. Das ist sehr ungerecht, geradezu grob ungerecht, und so ist jede Gelegenheit willkommen, dem Plakat wie dem Holzschnitt ein Loblied zu singen.

Und schon sind wir bei Edmund Edel. Der Mann hieß wirklich so und war ein deutsch-jüdischer Plakatkünstler, Karikaturist, Übersetzer, Drehbuchautor, Regisseur und Autor, geboren 1863 im pommerschen Stolp, aufgewachsen im damals noch selbständigen Charlottenburg, gestorben im Mai 1934 in Berlin, nicht ohne zuvor anlässlich seines siebzigsten Geburtstages vom Völkischen Beobachter beschimpft worden zu sein.#

Edmund Edel war im Berlin des frühen zwanzigsten Jahrhunderts kein Unbekannter. Er entwarf Plakate für Theaterbühnen, für Fleischextrakte und Schreibwaren, für Mampe's Likör, wie seine französischen Vorbilder war er mit der Umrisszeichnung im Bunde, ging mit dem Lasso der geschwungenen Linie auf Kundenfang. Zur Verachtung des Holzschnitts mag seine Verwendbarkeit für "marktschreierische" Zwecke beigetragen haben. Die antimoderne Verachtung des Plakats nahm an seinem Bündnis mit der Reklame Anstoß. Zum Glück ließ sich Edmund Edel dadurch nicht beirren. Und wohl, weil er zugleich in der Welt der Zeitschriften- und Buchillustration zu Hause war, zum Beispiel im Ulk, den Lustigen Blättern oder dem Narrenschiff, kam ihm irgendwann die Idee, den Plakatstil in die Prosa zu überführen und zu Satirezwecken zu nutzen. So entstand "Berlin W. Ein paar Kapitel von der Oberfläche", erschien 1906 und wurde zugleich zum Bestseller (wahrscheinlich vor allem in Berlin).

"Berlin W." ist eine Ortsbezeichnung. Sie meint den Berliner Westen und zwar den damals "neuen" Westen um den Kurfürstendamm mit dem "Bayerischen Viertel" als südlicher Anlagerung. Der "alte" Westen war das villenbesetzte Tiergartenviertel, an dessen Rand einst Fontanes Effi Briest gezogen war. Edmund Edel, Zeitgeistspezialist wie jeder Plakatkünstler, gab sich mit der Ortsbezeichnung nicht zufrieden. Er schrieb über "Berlin W." so, wie einige Generationen später, in den Nachwendejahren der Berliner Republik über "Prenzlauer Berg" geschrieben wurde, als das Berlin, in dem "man" wohnt. Es geht um Oberfläche, also um Mode. Die Kleidung gehört dazu, aber nicht nur sie, sondern der gesamte Lebensstil. Von Fahrstühlen ist die Rede, von der Elektrifizierung der Beleuchtung, von den "Gesellschaften", die "man" gibt, von den Ehen des Herrn und der Damen des Hauses, vom Abschied von den Läden zugunsten der Warenhäuser, von den Söhnen und Töchtern, ihren ästhetischen und erotischen Vorlieben, den Lektüren und Salongesprächen. Man lebt in "Tietz-und-Wertheim-Dekor".

Wer dachte, erst Heinz Erhardt sei auf die Idee gekommen, der "Ilias"-Übersetzung von Johann Heinrich Voss die Wendung "welch Wort entfloh dem Gehege deiner Zähne" zu entführen, wird hier eines besseren belehrt. Haltbar geblieben ist Edmund Edels "Berlin W." nicht zuletzt durch seine Aufmerksamkeit auf das Register modischer Redewendungen von "chic" bis "phänomenal", von den "Berliner Verhältnissen" bis zu der Frage, ob und wie man auf der Strandpromenade einen Mann mit "Verhältnis" grüßt.

Diese Umrisszeichnungen der besseren, in der Regel neureichen Kreise von Berlin W. zeigen dem naturalistischen Drama die mondän kühle Schulter und lachen sich ins Fäustchen, wenn jemand sie als empirische Soziologie auffasst. "Der Jour", "Die Zeit der jungen Liebe", "Kunst und Künstler", "Der Zoo", "Auf Reisen" heißen die Kapitel. Die Börse, obwohl unabdingbar für den Lebensstil, legt Wert darauf, nicht im Vordergrund zu stehen.

Nach diesem Debüt hat Edmund Edel noch sehr viel anderes geschrieben. Sein "Berlin W." taucht mit jedem Modernisierungsschub wieder auf. Nun hat sich Björn Weyand, Autor einer instruktiven Studie zur "Poetik der Ware", vorgenommen, das schriftstellerische Werk Edels in größerem Umfang wieder zugänglich zu machen, darunter Romane wie "Der Snob" (1907), "Das Glashaus" oder "Der Filmgott" (1920). Diese Neuausgabe hat er mit einem lesenswerten Nachwort und einem nützlichen Glossar versehen und ihr, zum Glück, die Vignetten des Originals belassen. "Berlin W." ist ein im besten Sinne plakatives Buch.

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