Süddeutsche Zeitung

Kampf gegen organisiertes Verbrechen:Risse in der Mafia-Welt

Lesezeit: 3 min

Mathilde Schwabeneder porträtiert neun Frauen, die in Italien gegen Verbrecherbanden aufstehen.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Sie sind mutig, extrem mutig: Immer mehr Frauen in Italien packen aus und decken auf. Als Kronzeugin, Staatsanwältin, Bürgermeisterin oder investigative Journalistin nehmen sie im Kampf gegen die Mafia inzwischen eine zentrale Stelle ein. Die Journalistin Mathilde Schwabeneder, die bis vor kurzem als Italien-Korrespondentin für den österreichischen Rundfunk ORF gearbeitet hat, beschreibt in neun Porträts das Engagement dieser Frauen, die eine gemeinsame Erfahrung teilen: wie gefährlich es ist, offen gegen die Mafia Stellung zu beziehen.

Piera Aiello hat sich als Kronzeugin zur Verfügung gestellt, nachdem ihr Mann - Sohn eines Mafioso - bei dem, was die Medien als "zweiten großen Mafiakrieg in Sizilien" beschrieben, ermordet worden war. Als die Schwiegermutter ihr vor der Leichenhalle ein schwarzes Kopftuch reicht als Symbol dafür, dass sie nun auch eine Mafiawitwe ist, lehnt Aiello ab und sich zum ersten Mal auf: Es sei keine bewusste Entscheidung gewesen, erzählt Aiello, eher ein Schutzreflex: Sie wollte nicht zulassen, dass ihre damals dreijährige Tochter in einer Mafiafamilie aufwächst. Außerdem wollte sie einen Beitrag dazu leisten, dass die Mörder nicht frei herumlaufen konnten.

Am 30. Juli 1991 verlässt Aiello mit ihrer Tochter und wenigen Habseligkeiten das Haus und vertraut sich einem Mann an, der in den nächsten Monaten ihr wichtigster Ansprechpartner sein wird: Paolo Borsellino. Der Staatsanwalt sollte sein Engagement mit seinem Leben bezahlen. Wie schon zwei Monate davor Giovanni Falcone wurde Borsellino 1992 bei einem Sprengstoffanschlag getötet.

Der Tod der beiden bekanntesten sogenannten Mafia-Jäger war ein schwerer Schlag für die Kronzeugin und ihre Schwägerin Rita. Die 17-Jährige hatte sich vier Monate nach dem Schritt Aiellos auch entschlossen, sich Borsellino anzuvertrauen. Eine Woche nach der Ermordung des Richters sprang sie vom siebten Stock einer Wohnung, wo sie versteckt in Rom lebte, in den Tod. Ihre Mutter zerschlug mit einem Hammer das Bild ihrer Tochter auf dem Grabstein. Die Verbindung zur Mafia war stärker als die Familienbande.

Piera Aiello war Kronzeugin auf Sizilien. Seit zwei Jahren sitzt sie im Parlament in Rom

Aiello lebte 27 Jahre mit einer falschen Identität, zog von einem Versteck zum anderen und lebte unter Polizeischutz. Bei einer Gedenkfeier für Mafiaopfer 2018 zeigte sie sich erstmals der Öffentlichkeit und entschloss sich in diesem Jahr, in der Politik ihren Kampf gegen die Mafia fortzusetzen. Als erste Kronzeugin in der Geschichte Italiens wurde die 51-Jährige ins Parlament gewählt, obwohl sie sich im Wahlkampf aus Sicherheitsgründen nie gezeigt hat und auch auf der Webseite des Parlaments nur bei ihr kein Foto dabei ist.

Auch Nunzia Brancati bewegt sich nur mit Leibwächtern durch Neapel. Die 1974 geborene Juristin ist Vizepolizeipräsidentin in ihrer Heimatstadt. Auf einer Fahrt durch das nächtliche Neapel lässt sie teilhaben an dem, was es in der Realität heißt, gegen die Camorra zu kämpfen. Das ist die Stärke des Buches: Die Autorin schafft es, in ihren gut geschriebenen Porträts nicht nur die Lebensgeschichten jeder einzelnen Frauen zu schildern, sondern sie zeigt anschaulich, was es konkret bedeutet, gegen die Mafia zu kämpfen. Schwabeneder geht auch in der notwendigen Kürze auf politische Entwicklungen und die Strukturen von 'Ndrangheta, Cosa Nostra und Camorra ein. Sie beschreibt, wie die Mafia agiert: Es wird gemordet, bestochen, gedroht und Geld gewaschen - nicht nur in Italien.

Für Laura Garavini waren die sogenannten Mafia-Morde von Duisburg 2007 die Initialzündung: Wegen einer Fehde zwischen rivalisierenden Gruppen wurden sechs ihrer Landsleute vor einem italienischen Restaurant erschossen. Die damals in Berlin lebende Politikwissenschaftlerin gründete die "Mafia? Nein Danke"-Initiative in Deutschland. Wirte schlossen sich zusammen und gründeten einen Pakt: Sie verpflichteten sich, keine Schutzgelder zu zahlen und keine Personen einzustellen, die Verbindungen zu kriminellen Clans haben. Es gab auch eine enge Zusammenarbeit mit der Polizei in Deutschland.

Wegen ihrer Recherchen, die in dieses zweite Buch zum Thema Mafia eingeflossen sind, ist die Journalistin derzeit auch als Gesprächspartnerin in deutschen Medien gefragt. Denn in Düsseldorf hat gerade der größte Prozess gegen die Mafia, den es in Deutschland bisher gegeben hat, begonnen. Die Autorin schafft es anhand von vielen Einzelfällen, Einblicke zu geben in eine verschlossene Welt. Für dieses Buch haben sich - bis auf zwei Frauen - alle bereit erklärt, mit ihren Namen und Fotografien porträtiert zu werden. Auch das ist mutig. Damit geben sie dem Kampf gegen die Mafia ein Gesicht.

Mathilde Schwabeneder : Sie packen aus. Frauen im Kampf gegen die Mafia. Molden- Verlag, Wien 2020. 192 Seiten, 23 Euro.

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SZ vom 24.11.2020
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