Süddeutsche Zeitung

Australische Literatur:Das Ohr unter der Magnolie

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Josephine Rowe erzählt in ihrem ehrgeizigen Debütroman "Ein liebendes, treues Tier" das Leben einer Familie, ohne einen Familienroman schreiben zu wollen. Das geht nicht immer gut.

Von Nicolas Freund

Tiere zu lieben ist einfach, Menschen zu lieben ist schwer. Als Belle, der Hund des Vietnamveteranen Jack Borroughs, von einem wilden Raubtier gerissen wird, fällt seine ganze Familie auseinander, als wäre sie nur noch von der Zuneigung für das geliebte Haustier zusammengehalten worden: "Es war Dad, der das Ohr fand, ein einzelnes Ohr unter der Magnolie. Mit Seidenfell und völlig intakt, so perfekt, dass man am liebsten hineingesprochen hätte, als könnte sie noch hören, wie furchtbar sie vermisst wurde." Jack, der seit Jahrzehnten ein aus seinem Kriegseinsatz stammendes Trauma mit sich herumschleppt, verschwindet nach dem Tod des Tieres einfach. Und seine Frau Evelyn taucht ab in die Vergangenheit, vor der ihr Mann zu fliehen versucht, und in der sie als junge Frau mühelos Menschen für sich gewinnen konnte. Die Töchter Ru und Lani bekriegen einander mit einer Gnadenlosigkeit, die nur unter Geschwistern möglich ist.

"Ein liebendes, treues Tier", der Debütroman der 1984 geborenen Australierin Josephine Rowe, zeigt den Verfall einer Familie, ohne ein Familienroman sein zu wollen. Die Erzählung wechselt zwischen den Jahrzehnten, die Perspektiven verschiedener Familienmitglieder werden eingenommen, das Auseinanderdriften der Figuren ist der Stoff, an dem Rowe in ihrem ersten Roman offenbar eine ganze Reihe literarischer Verfahren ausprobieren wollte. Rowe hat mit Arbeitsstipendien der University of Iowa und der Stanford University an dem Buch gearbeitet, entsprechend ambitioniert musste das Projekt wohl ausfallen.

Denn eigentlich wäre es naheliegend und vielleicht einfacher gewesen, aus der Geschichte einen großen Familienroman zu machen und durch die Generationen zu zoomen: von den Erfahrungen des Vaters im Vietnamkrieg und dem Onkel, der sich beide Zeigefinger abhackte, um nicht auch eingezogen zu werden, zu den beiden Töchtern, die Jahre später in der Langeweile des australischen Outbacks mit waffengeilen Jungs, Tabletten und Alkohol versuchen, ein Stück der Welt für sich zu erobern.

Rowe geht es aber um etwas, das sich nicht einfach durch bloßes Erzählen darstellen lässt, sondern angedeutet und mit literarischen Mitteln imitiert werden muss. Von dem grausamen Tod des geliebten Familientieres ausgehend, erkundet sie den von Erinnerungen, Träumen und all den Zumutungen der Welt überlagerten emotionalen Raum zwischen ihren Figuren.

In den sechs Kapiteln des Romans wechselt Rowe dazu nicht nur die Perspektive, sondern auch die Stilebene. Das Kapitel über den Vater ist ein Stakkato kurzer Erinnerungen aus dem Krieg, Zitate aus Zeitungen und Nachrichtensendungen, Fachtexte über im Vietnamkrieg eingesetzte Kampfstoffe. Ein Rauschen, wie es wahrscheinlich auch in Jacks Kopf herrscht.

Die Kapitel über den etwas eigenartigen Onkel, genannt Tetch oder Les, und die drogengeschwängerten Abenteuer des Mädchens Lani in einer Silvesternacht, werden immer wieder von lyrischen Passagen unterbrochen, die nicht nur geglückt wirken: "Nebeltriefende Bäume, verdampfender Schweiß."

Das erste und letzte Kapitel sind in der zweiten Person geschrieben, als Anrede an Ru, die kleine Schwester. Ganz klar ist nicht, wer hier spricht. Der Familiengeist? Die große Schwester? Josephine Rowe? Es handelt sich nicht um einen Brief an die Schwester, also wird mit der Anrede "du" implizit auch der Leser an Rus Stelle und damit in das Familiengefüge gesetzt. Aber warum? "Auf dem Weg durch den Park schmeckst du wieder die Party vom Vorabend." Dieses Du wirkt wie ein bemühtes Experiment aus der Schreibwerkstatt. Noch dazu wie eines, das der Roman gar nicht nötig hätte. Denn die Überliterarisierung steht seinem Inhalt im Weg.

Die Figuren sind keine Charaktere, sondern Träger poetischer Konzepte. Das emotionale und persönliche Gefüge zwischen ihnen entfaltet sich erst spät und bis dahin bleiben die Probleme und Sorgen der Familie Burroughs doch sehr egal. Trotz des übertriebenen formalen Anspruchs und einigen missglückten Bildern, gibt der Roman am Ende aber doch seinen Einzelteilen, die auseinanderstreben wie die Familienmitglieder der Geschichte, einen Rahmen, in dem sich alles fügt.

Es gibt aber auch eine Außenwelt, auf die der Text ständig Bezug nimmt, die er aber nie in sich eindringen lässt. Er wird zum literarischen Schutzraum, um den herum eine Wildnis wuchert, in der Raubtiere lauern, in der Vietnam liegt, in der der Vater und die abgehackten Finger verschwinden und Jungs mit Motorrädern und Waffen die Staubpisten unsicher machen, wo aber auch alle Möglichkeiten der Welt darauf warten, endlich erlebt zu werden. Die Faszination dafür ist leicht nachzuvollziehen, die einzelnen Teile dieses Romans zusammenzubringen, ist schwierig. "Ein liebendes, treues Tier" ist die Auseinandersetzung zwischen Innen und Außen, Gefahr und Möglichkeit, Text und Welt. In diesem Spannungsfeld entfaltet Josephine Rowes schwieriger, ambitionierter Debütroman seine Wirkung.

Josephine Rowe : Ein liebendes, treues Tier. Roman. Aus dem Englischen von Barbara Schaden. Liebeskind Verlag, München 2019. 208 Seiten, 20 Euro.

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Quelle:
SZ vom 15.04.2019
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