Süddeutsche Zeitung

John Burnside über die Liebe:Narziss und der Reiz der Chimären

Lesezeit: 4 min

Die beste Traumfrau ist eine tote Traumfrau: Die erhellenden Jugenderinnerungen und Reflexionen des schottischen Autors John Burnside in "Über Liebe und Magie - I put a spell on you".

Von Franziska Augstein

Wenn exzentrische Persönlichkeiten, eingenommen vom eigenen Gefühl, die ganze Welt umarmen wollen, ist das meistens zum Davonlaufen. Nicht so im Fall des schottischen Lyrikers und Romanciers John Burnside. Er weiß so genau, wie es ist, wenn man sich selbst nicht mag. Von ihm lässt die Welt sich gern sagen, was schön ist oder wenigstens schön sein könnte, wenn sie, die Welt, weniger gedankenlos wäre.

Sein jüngst auf Deutsch erschienenes Buch "Über Liebe und Magie" (passabel übersetzt von Bernhard Robben) ist eine Mischung aus Jugenderinnerungen und Reflexionen über die Liebe und über Lieder. Der Untertitel seines Buches - "I put a spell on you" - ist der Titel eines Songs, den die Bluessängerin Nina Simone so dargeboten hat, dass Burnside sich tatsächlich davon wie verzaubert fühlt.

Angefangen hat alles, wie üblich, mit seiner Kindheit. Die fand statt in einer schottischen Kleinstadt, deren hässliche Aussichtslosigkeit von einem lieblos hingesetzten Einkaufszentrum gekrönt wurde. Die Eltern beschreibt er als arm, redlich und katholisch, womit die Einwilligung in einen Gesellschaftsvertrag feststand, der da besagte: Die Männer malochen, die Frauen hüten das Heim. Die Männer, wenn sie abends nach Hause kamen, waren müde und schlecht gelaunt. Frauen war bestimmt, Hausfrau zu werden, und das Wünschen nach Freude, die über einen Tanzabend hinausgeht, bleiben zu lassen: "Vom Gör bis zur Greisin wurde die Willenskraft von Mädchen und Frauen, dort, wo wir aufwuchsen, immerzu gebrochen."

Die Männer, so Burnside, hätten bloß in ihrer Jugend eine kurze Zeit von wenigen Jahren gehabt, bevor sie ihr Schicksal annahmen: zu schlecht bezahlter Arbeit gehen, eine Ehe eingehen, bis dass der Tod dann komme. "Die Heirat", definiert er knapp, wie der Amerikaner Ambrose Bierce es in seinem "Wörterbuch des Teufels" (1911) nicht besser hätte tun können: "das, was am ehesten Gelegenheit für eine lebensbedrohliche Enttäuschung bietet".

Burnside beschreibt sich als einen braven Jungen. Dem Heranwachsenden dämmerte dann, wie da Kirche und Staat zusammenarbeiteten. Die Kirche habe dabei geholfen, die Armen in ihrem Status festzunageln. Seine Jugend fand er alles in allem schrecklich und suchte zu fliehen oder zu fliegen. John Burnside hatte wohl zu viel Fantasie für die Welt, in die er hineingestopft werden sollte. Er sei, schreibt er, damals jede Woche neu verliebt gewesen. Weil das nichts half und die (katholischen) Mädchen nicht in Reichweite kamen, musste der Alkohol ran, dann auch Drogen: Fliegen können mit "Lucy in the Sky with Diamonds" oder anderen Songs, das wär's gewesen. Stattdessen landete der junge Burnside, heute ist er 64 Jahre alt, in der Psychiatrie - ganz weit von der Liebe entfernt.

Vielleicht hat seine Lebenskraft John Burnside geholfen, seine Jugend zu überwinden und mit dem Schreiben zu beginnen; vielleicht war es auch andersherum: Das Schreiben mag ihm geholfen haben. Für den Leser ist das einerlei. So wie ein Schmetterling mit seinem Flügelschlag die Luft bewegt, ohne zu erwarten, dass deshalb gleich in China ein Erdbeben stattfindet, hat Burnside seine eigenen Erfahrungen, angereichert von Lektürefrüchten und Abschweifungen, zu Papier gebracht - in der Diktion mal poetisch und dann wieder gern deftig-umgangssprachlich.

"Liebe und Magie", im Original bereits 2014 erschienen, wurde vom Guardian als "ein erhellendes Buch über das, was Liebe alles sein kann" gepriesen. Das ist schon richtig. Die Liebe kann vor allem schmerzhaft sein, niederdrückend, alles andere auslöschend. Der 2017 verstorbene französische Schriftsteller Jean d'Ormesson - ein Doyen der Literatur, Mitglied der Académie française - verstand unter Liebe das "Feuer der Passion": "Die Passion entzündet den Körper, die Herzen, die Seelen, und sie verbrennt die Gefäße. Die Passion hat keine andere Politik als die der verbrannten Erde." Und weiter: Literatur gebe es bloß, "weil die Menschen reden, weil sie leiden und weil sie lieben".

Anders als Burnside stammte d'Ormesson aus großen Verhältnissen. Doch würde Burnside ihm wohl zustimmen. Was er von seinen Verliebtheiten und Lieben erzählt, ist alles andere als romantisch. Weil das mit den Weibern und der Liebe immer so schwierig ist, meint er, neigten Männer dazu, sich an Traumfrauen zu hängen, am besten an eine tote, so eine wie Ophelia, die im "Hamlet" aus Liebe ins Wasser geht und - österreichisch gesagt - eine schöne Leich' abgibt. Nicht jede Leserin muss sich in diese männliche Vorstellung einfühlen.

Bleibt zu konstatieren: Mag die Idee auch seltsam sein, interessant ist sie schon; wir reden von einer Chimäre mit schönem, wenn auch blass-blauem Angesicht und langen Haaren, die wie Seetang aussehen und so das Menschliche mit dem Element Wasser verbinden, welch letzteres ja nun wirklich faszinierend ist.

In Fabeln erkennt Burnside die Gegenwart. Nachgerade hübsch ist sein Blick auf die mythologische Figur Narziss, den Archetypus der Egomanie, der so vernarrt ist in sein Spiegelbild, dass er sich weiter und weiter niederbeugt, in den Teich fällt und ertrinkt. Von wegen!, ruft Burnside. Narziss habe die Avancen der Nymphe Echo abgewiesen, eben weil er an seiner Seite keine Gefährtin haben wollte, die bloß nachspreche, was er sage, die ihm bloß nach dem Munde rede.

Und als Narziss sich im Wasser anschaute - laut dem Mythos wurde er zur Strafe für die Abweisung Echos dazu verdammt, sich selbst schön zu finden - habe er weniger sich selbst bewundert, als vielmehr sich vergewissern wollen, in der Welt zu sein. Ob man dieser Interpretation zuneigt oder nicht, spielt keine Rolle. Sie beschreibt auf jeden Fall John Burnsides Haltung als Schriftsteller. Er schreibt über sich selbst auf ungemein zugewandte Weise: in der Welt, für die Welt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4765761
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 22.01.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.