Süddeutsche Zeitung

Jelinek zu Schlingensief:Müssen wir halt Blutkuchen essen

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"Tod-krank.Doc": Elfriede Jelineks Beitrag zu Christoph Schlingensiefs Krankheitstheater.

Christine Dössel

Das Burgtheater Wien hat vier Schließtage angesetzt. Die ganze Woche über bleiben seine Pforten zu, um die große Premiere am Freitag einzurichten: Christoph Schlingensiefs so genannte Readymade-Oper "Mea Culpa", eine fröhliche, guckkastentaugliche Fortsetzung jener "Kirche der Angst vor dem Fremden in mir", mit der Schlingensief auf der Ruhrtriennale 2008 in Duisburg seiner Krebserkrankung künstlerisch zu Leibe rückte, indem er ihr einen Theatergottesdienst weihte. Die Diagnose Lungenkrebs ereilte den nichtrauchenden Künstler vor über einem Jahr, ein Lungenflügel wurde entfernt, er hatte eine Embolie, war dem Tod nahe, und dann kamen auch wieder die Metastasen zurück. Doch seit Jahresende geht es dem Regisseur besser, und so arbeitet er wie ein Besessener an der Fortschreibung seiner Leidens- und Erlösungsgeschichte auf der Bühne. Getreu dem Beuys-Diktum: "Wer seine Wunde zeigt, wird geheilt, wer sie verbirgt, wird nicht geheilt."

In "Mea Culpa" wird Schlingensief in Gestalt des Schauspielers Joachim Meyerhoff nicht nur in den Himmel auffahren, wo er seinem Papa begegnet, auch sehr diesseitige Heilsversprechen wie Voodoo, Ayurveda und Wellnesskuren spielen eine Rolle, und Wagner natürlich, der Gesamtkunstwerker. Auch Elfriede Jelinek hat dem Künstlerfreund, der 2003 am Burgtheater ihr Irak-Stück "Bambiland" inszenierte, einen Textbeitrag geschrieben. Er heißt "Tod-krank.Doc" und ist unter der Rubrik "Aktuelles" auf ihrer Homepage zu lesen ( http://ourworld.compuserve.com/homepages/elfriede).

Ausgehend von der zentralen Metapher des "Blutkuchens" mäandert sich Jelinek, wortspielerisch, zynisch und kalauernd, wie es ihre Art ist, durch Schlingensiefs Hirnwindungen, um in Ich-Form einen imaginären "Herrn Doktor" anzusprechen. Das hört sich zum Beispiel so an: "Danke für die Blumen, danke für den Blutkuchen, ich stelle ihn derweil dorthin, aber zuerst muss ich ihn ordnen, der Kuchen und das Blut müssen gut miteinander verrührt werden, bis wir alle ganz gerührt sind, was für Mühe das Schicksal sich mit mir gegeben hat; dann haben wir ein Wohlwollen für Sie, Herr Doktor, aber eigentlich hätten wir ein Lob wollen. Wir nehmen aber, was wir kriegen können. Wenn wir kein Brot haben, müssen wir halt Blutkuchen essen. Weiß mir keine Hilfe mehr, Hilfe!"

Hilfe kommt zwar von den Ärzten, Erlösung aber findet Schlingensief nur in der Kunst, und er lässt uns teilhaben daran, wie in einer Kommunion. In den Worten Jelineks: "Sehet und nehmet hin meinen Leib und mein Blut, das Blut immerhin in Form von Kuchen, das kann Jesus euch nicht bieten, da bin ich besser, oder etwa nicht?"

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Quelle:
SZ vom 18.03.2009/irup/rus
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