Süddeutsche Zeitung

Tagebücher von Jane Birkin:"Heute ist ein schlechter, sehr schlechter Tag"

Lesezeit: 3 min

Von Juliane Liebert

Zwei Momente aus Jane Birkins Tagebüchern bleiben besonders hängen, aus heutiger Sicht. Einmal ist sie mit ihrem Partner, Serge Gainsbourg, bei einem Rothschild-Dinner. Dort sitzt sie neben dem berühmten Pianisten Arthur Rubinstein, der anfängt, ihr das Knie zu tätscheln. Sie beschwert sich bei Gainsbourg, der antwortet: "Lass ihn, Jeanette, er ist ein Genie!" Sechzig Seiten später sitzen Birkin und Gainsbourg im Auto eines Weinkellners namens Léon, der das Paar durch den Nebel des Morvan fährt. Als der Kellner sie zu begrapschen beginnt, beklagt sie sich wiederum bei Gainsbourg, der entgegnet "Lass ihn, Jeanette, wir sind verloren." (Eine missglückte Übersetzung? Wenn sie im Auto unterwegs sind, wollte er wohl eher sagen: Sie haben sich verirrt.)

Sie nimmt es Serge nicht übel, kauft ihm sogar eine Seite weiter eine aufblasbare Puppe, obwohl sie zum selben Preis "Handschellen oder das komplette Erotik-Kit für Damen bekommen hätte". Aber man freut sich doch, nicht mehr in den Siebzigern zu leben. Lass ihn nicht, Jeanette. Soll er doch lieber Gainsbourg begrapschen, wenn er so genial ist und ihr ohnehin verloren seid! Oder sich selbst!

Bei den "Munkey Diaries" handelt es sich um einen Hybrid aus Autobiografie und den Tagebüchern, die Jane Birkin über mehrere Jahrzehnte, von ihrem elften Lebensjahr bis zum Tod ihrer ältesten Tochter Kate im Dezember 2013, geführt hat. "Die privaten Tagebücher", so der deutsche Untertitel, im Gegensatz zu ihren öffentlichen Tagebüchern? Seien sie privat oder öffentlich, sie erscheinen in zwei Bänden, und dies ist der erste. Er umfasst die Jahre 1957 bis 1982.

Vor allem aus soziologischer Sicht ist das Tagebuch interessant

Birkin warnt im Vorwort: "Ich bin immer noch sehr kindisch, glaube ich, und anstrengend." Generell hat sie sich in den ersten Jahren viel vorzuwerfen, sie findet ihre Schwester schöner, sich im Allgemeinen nicht so begabt etc. etc. Der Tonfall ist angenehm unbedarft; sie spielt damit, ihre Naivität auszustellen, weshalb sie nicht dümmlich wirkt. Bis auf ein paar verloren gegangene Hefte sind die Tagebücher vollständig. Gestrichen wurden laut Vorwort nur Passagen, die lebende Personen verletzen könnten, sonst sind Birkins Eintragungen vollständig wiedergegeben.

Das merkt man. Manchmal erreicht der Weltstar besonders am Anfang Qualitäten, bei denen einem vor Hochspannung schwindelig wird. "Mittwoch" heißt es etwa auf Seite 25: "Langweilig langweilig, sehr langweilig. Donnerstag. Ein Dokumentarfilm über Grünspechte, wie sie sich ernähren, heiraten und Kinder haben." Die junge Jane Birkin ist Sylvia Plath und Goethe in einer Person.

Das ist durchaus unterhaltsam. "Heute ist ein schlechter, sehr schlechter Tag, und obendrein fühle ich mich schlecht!" etwa ist ein Satz für die Ewigkeit. Oder, anlässlich der Geburt des dritten Kindes von Königin Elisabeth: "Die Königin hat einen Jungen bekommen! Geboren um 16 Uhr am 19. Februar. Vielleicht wird man ihn Albert nennen, ich hoffe nicht." Recht hat sie! Dabei ist sie, als sie das schreibt, noch Schülerin, und der Adressat ihrer Einträge ist ihr Plüschaffe Munkey. Den Kuscheltieraffen, nach dem ihre Tagebücher benannt sind, hat sie später Serge Gainsbourg ins Grab gelegt.

Sehr deutlich wird, wie die britische Gesellschaft funktionierte und in vieler Hinsicht bis heute funktioniert

Interessant ist das Tagebuch dieser Jahre auf jeden Fall aus soziologischer Sicht. Es ist ein schöner Einblick in die Welt der Upperclass, der Jane Birkin entstammt. Diese Herkunft war wohl auch eine wesentliche Voraussetzung für ihre Karriere. Dass ihr Vater der besseren Gesellschaft angehörte (in seiner Familie wurde seine Ehe wohl zumindest teilweise als Mesalliance betrachtet), die Showbiz-Verbindungen ihrer Mutter und ihre Privatschulbekanntschaften ließen sie in eine Gesellschaft des Wohlstands, der künstlerischen Ambitionen und des Spiels der Eitelkeiten hineinwachsen. Sehr deutlich wird, wie die britische Gesellschaft funktionierte und in vieler Hinsicht bis heute funktioniert. Wie Eliten generiert wurden über ein ziemlich brutales Privatschulsystem, in dem Neulinge von etablierten Schülern wie Leibeigene für Alltagsdienste benutzt und als "Fag" ("Schwuchtel") angeredet wurden. Coole Kulturszene und starre althergebrachte Hierarchien haben oft mehr miteinander zu tun, als es von hier aus scheint.

Ungetrübt von solchen Überlegungen wird Birkin 14 Jahre alt, bekommt Brüste und fängt an zu denken, was für sie in direktem logischen Zusammenhang steht. Sie heiratet sehr jung und sehr unglücklich John Barry, ihr Mann behandelt sie schlecht, sie zerkratzt sich die Beine mit Eierschalen. Denkt, ein Kind würde die Situation verbessern, wird schwanger, kriegt die Wehen und trägt Make-up auf, bevor sie ins Krankenhaus fährt. Trennung, Begegnung mit Gainsbourg. Was danach geschieht, ist Geschichte.

Ihre Filme und Alben erwähnt sie eher am Rande, dafür beschreibt sie Bordellbesuche mit Gainsbourg, Eifersüchteleien, Muttergefühle. Sie liebt viel und intensiv. Insofern trifft der Titel der "privaten" Tagebücher doch. Ihre Zeit und deren Kunstszene beschreibt sie, wenn, nur oberflächlich, was eine Stärke des Buches ist, worin aber andererseits auch seine Grenzen liegen.

Jane Birkin: Munkey Diaries. Die privaten Tagebücher . Aus dem Französischen von Barbara Heber-Schä rer. Penguin Verlag, München 2019. 347 S., 25 Euro.

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SZ vom 29.10.2019
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