Süddeutsche Zeitung

Israel:Testfallhöhe

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Zensur, Selbstzensur, Widerstand: In Jerusalem wird über eine Ausstellung gestritten, Künstler ziehen Werke zurück. Die Kuratoren suchen die Flucht nach vorn.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Eine Ausstellung über Zensur wird selbst zensiert: So beschreiben mehrere Künstler, was mit der am Sonntagabend eröffneten Ausstellung "Barbaren" im Mamuta Art Research Center in Jerusalem geschah - und haben ihre Werke aus Protest zurückgezogen. Die israelische Kulturministerin Miri Regev hatte gefordert, ein Gedicht der palästinensischen Schriftstellerin Dareen Tatour zu entfernen. Für das Gedicht mit dem Titel "Widersteh', mein Volk, widersteh' ihnen!", das sich gegen die israelische Besatzung im Westjordanland richtet und vom Gericht als Aufruf zu Gewalt und Terrorismus eingestuft worden war, war die 36-Jährige im vergangenen Mai zu fünf Monaten Haft verurteilt worden. Und in der Ausstellung "Barbaren" ist es auch nicht zu sehen.

Teile des Gedichts hatte die Künstlerin Meira Asher in einer digitalen Plattform integriert. Als die der rechtsnationalen Likud-Partei angehörende Ministerin davon erfuhr, ersuchte sie Finanzminister Mosche Kahlon, öffentliche Mittel für die Galerie zurückzuziehen. Daraufhin entfernten die Kuratoren die Arbeit und teilten mit, sie warteten auf rechtliche Klärung, vielleicht stelle die öffentliche Darstellung des Gedichts einen Straftatbestand dar.

Dabei wollten die Ausstellungsmacher eigentlich gerade darauf aufmerksam machen, wie sehr Kunstinstitutionen wie die Barbur-Galerie in Jerusalem von Behörden und Gerichten unter Druck gesetzt werden. Die Schau sollte auf Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst aufmerksam machen, auch eine Diskussion darüber anregen, was "akzeptiert" und "korrekt" ist.

Kern der Ausstellung ist das sogenannte Zensurarchiv, in das nach öffentlichen Aufrufen Dutzende Beiträge eingespeist worden sind. So entstand ein Panorama der Zensur aus institutionellen, politischen, religiösen Motiven, aber auch Fälle von Selbstzensur. Dieser Teil der Schau wird in einem geschlossenen Raum präsentiert, Besucher müssen per Unterschrift zustimmen, dass sie auch sensible Inhalte akzeptieren. Gal Volinez, einer der Künstler, der sein Werk zurückgezogen hat, warf den Ausstellungsmachern nun vor, selbst Zensur auszuüben.

Die Kuratoren wollen den Streit in die Ausstellung integrieren. Statt der entfernten Arbeit soll eine genaue Dokumentation inklusive Reaktionen von Künstlern gezeigt werden. Das Gedicht Tatours soll doch dargestellt werden - in Zusammenhang mit der Urteilsverkündung. In einer Erklärung teilten die Kuratoren mit: "Wir wurden plötzlich zu einem Testfall für das, was wir eigentlich beleuchten wollten."

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SZ vom 03.01.2019
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