Süddeutsche Zeitung

Installationskunst:Flott zum Gruße

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Sein bekanntestes Werk zeigt den betenden Hitler: Auch mit seiner neuen Installation in Frankfurt narrt Maurizio Cattelan alle. Für diesen Künstler ist der Markt eine überdrehte Gameshow.

Holger Liebs

Polyuretahn, Stoff und Farbe, mehr ist da eigentlich nicht zu sehen. Und doch wird jeder, der den letzten Saal im Obergeschoss des Frankfurter Museums für Moderne Kunst betritt, andächtig still. Da ragen drei Kunststoffarme aus der Wand, lebensecht einschließlich Adern, Falten und Haaren, sogar der kleinsten Pore. Drei Arme nebeneinander, komplett mit Hemd- und Jackettärmeln, über den Köpfen der Besucher, und: Sie sind zum "Deutschen Gruß" erhoben. Ein Schild an der Wand klärt in dürren Worten über die Plastik auf: Sie heißt "Ave Maria" und stammt vom italienischen Künstler Maurizio Cattelan. Ansonsten schweigt sich das Museum über das Kunstwerk aus. Kein Begleitheft, keine Presseerklärung, nichts.

Maurizio Cattelan: War das nicht der, der im Jahr 1999 Papst Johannes Paul II. von einem Meteoriten gefällt dargestellt hat, mit schmerzverzerrtem Gesicht? Der wenig später, 2001, Hitler als knieenden Knaben aus Wachs und Menschenhaar im zivilen Tweed, die Hände zum Gebet gefaltet, verewigt hat?

Der Künstler, der in Frankfurt zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder neue Arbeiten zeigt, seit März jeden Monat eine neue, gilt als "Clown", "Hofnarr", "Schalk", "Scharlatan" und "Populist" des Betriebs. Tatsächlich sind Hitler und Gott in der Kunst der Gegenwart zwei todsichere Aufreger, wenn man es nur richtig anstellt.

Man steht also vor, oder besser unter den drei handwerklich perfekten Hitlergrüßen und denkt erst mal: naja, ein Hitlergruß im Museum, eigentlich eine glasklare Sache. Ein provozierter Skandal, der Jüdische Zentralrat wird sich melden, dann die Zeitungen, wer weiß, und - ja, und was eigentlich? Darf's etwas weniger plump sein?

Aber die Hitlergrüße hängen, besser: ragen jetzt schon seit April an Ort und Stelle aus der Wand im ehemaligen Raucherraum des Museums (wo hat es so etwas eigentlich jemals gegeben in einem Kunsthaus: einen Raucherraum?) - und niemand hat protestiert, sich erbost, aufgeregte Bulletins in die Welt hinausgeschickt. Was auch daran liegen könnte, dass man, unter den flachen, ausgestreckten Händen stehend, zugeben muss, ob man will oder nicht, dass von ihnen, absurderweise, etwas Schützendes, Vertrauenserweckendes ausgeht.

Da ist eben nicht der schale Witz dreier eingemauerter Nazis dargestellt, wie die ansatzlos in der Wand verschwindenden Arme suggerieren. Da ist vielmehr eine dreifach ausgeführte Geste zu bestaunen, die ja an sich hinreichend verboten wäre, aber hier auf einmal christliche Züge trägt. Der "Deutsche Gruß" als Geste geht eben nicht nur auf den "saluto romano" des Römischen Reiches zurück, es gibt auch den "Englischen Gruß", der mit der englischen Sprache nichts zu tun hat, sondern vom biblischen Erzengel Gabriel stammt, welcher Maria verkündigt, dass sie einen Sohn gebären werde. Darauf spielt der Titel der Arbeit, "Ave Maria", an.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Cattelan es mit Eulenspiegeleien zu Anerkennung brachte.

"Da gibt es auf einmal so etwas wie Mitgefühl", sagt Udo Kittelmann, Direktor des Museums, "was passiert da? Man kann es nicht erklären." Cattelan selbst gibt uns eines seiner raren Interviews - per Mail-Korrespondenz. Er meidet die Presse, wo er kann, ob aus schlichter Unlust oder aber aus Lust zur Selbstmystifizierung.

Spricht man ihn auf die Ruhe im Ausstellungsraum und auf die ausbleibenden Proteste zum "Ave Maria" an, antwortet er: "Wer Benignis Film ,Das Leben ist schön' nicht mochte, der hat auch nicht gelacht, als er ihn sah. Mit anderen Worten: Die Tatsache, dass die Leute plötzlich still werden, heißt nicht, dass sie positiv reagieren. Sobald du in den Raum trittst, wo du ,Ave Maria' siehst, gerätst du in eine vertrackte Situation, denn unerwarteterweise vermittelt die Arbeit Trost. Und denken Sie mal an das Gebet ,Ave Maria'. Gibt es nicht so oft Augenblicke im Leben, in denen nur noch Beten hilft? ,Heil Maria!', wie die Angelsachsen sagen."

Alibi für den Trip

Cattelans Arbeiten nehmen gefangen, aber sie flüchten auch vor einem, hat mal ein Kritiker geschrieben - und Cattelans Kunst "Teflon-Ästhetik" genannt: Konkret, aber nichts bleibt haften. Wenn ausgerechnet der Stellvertreter Gottes, in Cattelans Papst-Skulptur "La Nona Ora", vom Meteoriten getroffen wird und dennoch weiterhin tapfer die Ferula umklammert, dann mag er vielleicht der Lächerlichkeit preisgegeben sein - zumal wenn es, wie der Titel der Arbeit sagt, zur "neunten Stunde" geschieht, in der der gekreuzigte Gottessohn ausruft: "Vater, Vater, warum hast du mich verlassen?."

Aber trägt das schmerzverzerrte Gesicht der Skulptur nicht in Wahrheit Züge der inneren Sammlung, des stillen Zwiegesprächs mit dem Schöpfer, ja vielleicht sogar der Vergebung?

Und was Cattelans bekanntestes Werk "Him", den betenden Hitler betrifft: Es könnte sein, dass hier weniger eine Verharmlosung Hitlers stattfindet, als dass die Gestalt doppelbödig und unheimlich wirkt. Der "Gröfaz" als verletzliches Kind? Zu wem betet er? Fleht er um Vergebung seiner Sünden? Seine Züge bleiben trotz des besorgt aufschauenden Blicks gewohnt diabolisch - es scheint so, als habe Cattelan hier ein dreidimensionales Psychogramm von "Ihm" geschaffen.

Dieser Künstler zeigt Dinge, von denen man nicht weiß, ob man darüber lachen oder weinen sollte - es ist jene Uneindeutigkeit, die viele Menschen nicht gerne mögen. Aber die jüdische Sammlerin Ydessa Hendeles, deren Familie im KZ umkam, hat die abgründige Qualität der Cattelan'schen Plastiken begriffen: Sie erstand den andächtigen Hitler im zivilen Tweed-Anzug, nachdem das Werk bei seiner Zurschaustellung in Rotterdam zunächst einen Sturm der Entrüstung hervorgerufen hatte.

Zur Wirkung seiner Arbeiten, zumal wenn sie wie in Frankfurt ohne Kommentar gezeigt werden, schreibt Cattelan: "Ist nicht die beste Nachricht diejenige, die von Mund zu Mund wandert? Wenn die Arbeit unangekündigt und unerwartet da ist, überrascht sie dich, und das erzeugt eine kraftvollere Aufmerksamkeit. Ich bin mir da nicht sicher ... In gewisser Weise ist mein Vorgehen weniger explizit, aber es ist ganz sicher in-your-face."

In-your-face, ein echter Volltreffer also: So geht Cattelan auch vor, wenn er eins seiner Lieblingsthemen beackert, den Kunstbetrieb, den er, weil er eine Abgrenzung von der heutigen Macht des Geldes für illusionär hält, mit seinen eigenen Waffen schlägt - und ihm auf diese Weise den Spiegel vorhält. Gerne spielt Cattelan den Kindskopf und Schalk - wie verzwickt und hinterhältig seine Werke sind, sieht man erst auf den zweiten, dritten Blick.

1999 richtete er beispielsweise die seinerzeit massiv beworbene "Sechste Karibische Biennale" auf der Insel St. Kitts in

British-Westindien mit weltbekannten Künstlern aus - nur hatte es diese Karibische Biennale nie zuvor gegeben, und selbst auf dieser ersten wurden keine Kunstwerke gezeigt. Das Budget ging für den Urlaub der Teilnehmer drauf - unter ihnen prominente Gestalten wie Olafur Eliasson, Douglas Gordon, Elizabeth Peyton und Wolfgang Tillmans.

Nun gaben sich die eigens angereisten Kunstkritiker aber größtenteils nicht etwa empört oder fühlten sich wenigstens veräppelt - sie bejubelten den Fake als Kritik am wuchernden Biennale-Wesen. Es war eben einfach so, dass sie zusammen mit dem Künstler-Kurator und seinen Kollegen eine gute Zeit in der Karibik gehabt hatten. Am Ende war nicht klar, wer hier wem ein Alibi für den Trip in die Sonne geliefert hatte: der Künstler den Journalisten oder umgekehrt. Was für eine durchtriebene Aktion: Alle, Künstler, Kurator und Kritiker, waren am Ende gleichermaßen "embedded", gefangen in einem korrupten Einverständnis, dass das alles schon in Ordnung sei.

Trotz seiner Eulenspiegeleien - oder gerade deswegen - ist Cattelan heute anerkannter denn je. Das Museum of Contemporary Art in Los Angeles besitzt ebenso Werke von ihm wie das Sammlerehepaar Rubell in Miami, die Londoner Saatchi Gallery oder das Migors Museum für Gegenwartskunst in Zürich.

Auf der letzten Seite: Sollen wir nun eine Cattelan-Hymne singen?

Über den Werdegang des 1960 in Padua geborenen Künstlers ist wenig bekannt. Er lebte von Gelegenheitsjobs im Souvenirladen eines Klosters, im Leichenschauhaus, in einer Wäscherei - doch nie allzu lange: Oft flog er wegen seiner Clownerien wieder raus. Zur Kunst kam er erst mit Ende zwanzig. Seitdem hört er nicht auf, den Betrieb aufzumischen.

Auch Kunsthändler lässt Cattelan nicht so schnell davonkommen: Sie müssen schon mal tageweise mit Unmengen von Klebeband an die Wand gepappt als lebendes Kunstwerk herhalten, sich dabei den feinen Galeristenzwirn ruinieren - und sind als hilflos an der Wand hängendes Bündel nicht mal in der Lage, irgendetwas zu verkaufen. Oder sie müssen, wie Cattelans Galerist Emmanuel Perrotin, bei einer Vernissage als Gerücht der eigenen Homosexualität herumhoppeln, im rosa Peniskostüm, Hasenohren inclusive, getauft auf den Namen "Errotin". Alle machen mit. Warum? Weil sie die Aktionen so lustig finden, vermutlich. Dabei ist Cattelan von oberflächlichem Schabernack weit entfernt. Seine Kunst hat einen dunklen Kern. Das erzwungene Coming-out eines Schwulen ist ja kein Kinderspiel.

Es sind so schöne Farben

Mit Kritikerin Ali Subotnick und Kurator Massimiliano Gioni veranstaltete Cattelan nicht nur die - echte - Berlin Biennale 2006, sondern gründete auch die nur einen Quadratmeter große "Wrong Gallery", die inzwischen in der Londoner Tate Modern einen festen Platz hat, sowie einen nicht lizensierten Ableger der Galerie des mächtigsten Händlers weltweit, Larry Gagosian, in Berlin - als "Gagosian Gallery" mit originalem Firmenschild, aber als handelsfreie Ausstellungszone.

Was den Kunstmarkt angeht, sagt Cattelan, glaube er zwar an das Handwerk der Kritik. Aber: "Wie auch immer, die Grenzen der Kritik sind inzwischen deutlich. Du spuckst nicht in die Hand derer, die dir das Geld zum Leben geben. Die Wrong Gallery flüchtet und flüchtete nicht vor dem Markt. Sie war einfach nur attraktiver. Und wenn Larry Gagosian sich gewünscht hätte, die Berliner Zweigstelle seiner Galerie zu kaufen, wären wir glücklich über den Verkauf gewesen. Aber was hätte er gekauft? Einen Zweig, nicht den Baum und erst recht nicht seine Wurzeln."

So macht sich Cattelan, der TeflonÄsthetiker, unangreifbar: Er begibt sich nicht freiwillig in die Rolle des Kunstmarkt-Nachschublieferanten, sondern agiert selbst wie die Großen des Betriebs, nur eben schlauer. Auf Kunstmessen ist er kaum vertreten - wenn, dann stellt er andere Künstler aus. Dass er mehrere Arbeiten in einem Museum anfertigt wie in Frankfurt, ist außergewöhnlich.

Im März hat Cattelan schon einmal das Museum Moderner Kunst besucht, da hat er Kittelmanns Schreibtisch um einige Meter verlängert, hat einen Schlitz in die massive Außenwand des Museums geklopft, hoch über den Passanten, und den Museumsdirektortisch unbenutzbar zur Hälfte nach draußen geschoben, nun hängt er am Musentempel- gekrönt von einer von innen unerreichbaren, schokoladenfarbigen Geburtstagstorte, für die sich die Tauben bislang nicht zu interessieren scheinen - Torte und Tisch sehen so unberührt aus wie am ersten Tag. Warum der Geburtstagskuchen Teil des Werks ist, bleibt rätselhaft, Cattelan belässt es bei Andeutungen: "Irgendwie haben die Tauben begriffen, dass Tisch und Kuchen vergiftet sind. Schande! Wenn sie stürben, könnte ich sie ausstopfen. Naja, es ist auf jeden Fall schwierig, ein Kuchenstück zu ergattern ..."

Gefragt, wie er Udo Kittelmann dazu überreden konnte, das eigene Haus für dieses Kunstwerk zu beschädigen, antwortet Cattelan: "Sie müssen wissen, dass die meisten Museen der Welt nicht Udo als Direktor haben."

Die meisten Museen würden auch nicht das tun, was Kittelmann und Cattelan für die nächste Intervention des Künstlers planen. Viel geben sie nicht preis, aber so viel schon: Es geht um Schwarz-Rot-Gold und um den öffentlichen Raum, um unzählige Litfaßsäulen in der Frankfurter Innenstadt. Und um den Schriftzug "Cattelan" über dem deutschen Bundesadler, der wie eh und je angriffslustig die Zunge herausstreckt.

Cattelan streckt ja auch manchmal ganz schnell die Zunge heraus, wenn man dann doch mal mit ihm sprechen darf, zum Beispiel aus Anlass der Berlin Biennale 2006. Er tut dies scheinbar unmotiviert, so dass man nicht weiß, ob er sich über einen lustig macht oder einfach einen nervösen Tick hat. Er sieht dann ein bisschen so aus wie einer jener fratzenziehenden Häscher auf einer mittelalterlichen Kreuzigungsszene.

Jedenfalls kommt just ein Jahr nach dem WM-Flaggenmeer ein Italiener und beansprucht den deutschen Nationalstolz um unzählige Litfasssäulen in der Frankfurter Innenstadt für sich. Seltsam sieht dieser Name über dem Bundesadler aus, wie der Name eines Flottenadmirals. Sollen wir nun eine Cattelan-Hymne singen, in Cattelan-Begeisterung ausbrechen?

"Warten Sie ab, bis Sie die Arbeit sehen! Es sind so schöne Farben. Die deutschen eben. Leuchtend, triumphal und energiegeladen. Der Adler sieht machtvoll aus, expressionistisch und wunderbar gestaltet. Erinnern Sie sich an letztes Jahr, als fast jeder Deutsche seine eigene Flagge hatte? Worin haben sie sich eigentlich verliebt, damals? Ich hoffe, dieses Mal verlieben sie sich in mich. Verführe ich sie oder weise ich sie ab?"

Möglicherweise inszeniert Cattelan seine Deutschlandfarben-Aktion am Ende genau so, dass man ihr nicht entgehen kann - ob man es nun will oder nicht.

Versuchen wir es also zum Abschluss mal so: Ob er ein glücklicher oder ein melancholischer Mensch ist? "Ach", antwortet er, "wenn man nur mal zehn Jahre lang zu denken aufhören könnte." Na also: Der In-your-face-Künstler, auch er nur ein Melancholiker . . .

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Quelle:
SZ vom 26./27./28.5.2007
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