Süddeutsche Zeitung

Im Kino: The Blind Side:Sei ein Gewinner

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Prollig, aber nicht dumm, wertkonservativ und großherzig. Sandra Bullock rettet als trashige Naturgewalt einen schwarzen Jungen aus der Crack-Hölle.

Tobias Kniebe

Tough, direkt, großherzig. Aufs Gewinnen programmiert, aber nicht kalt gegenüber den Verlieren. Ohne finanzielle Sorgen, aber nicht blind für die Sorgen anderer. Ein bisschen prollig, aber nicht dumm. Wertkonservativ, aber nicht in der Kirche anzutreffen, gläubig und christlich im praktisch-pragmatischen Sinn. Vor allem aber - und das ist das Wichtigste - aufgehoben und beschützt in einem selbstverständlichen, bollwerkstarken, unzerstörbaren Fundament namens Familie.

So würde sich das weiße Amerika, Jahrgang 2009/2010, selbst gerne sehen. Und so hat es sich, mit Kinokassen-Schlangen und Oscar-Ehren für die Hauptdarstellerin Sandra Bullock, in dem Film The Blind Side - Die große Chance wiedergefunden.

Zuhören, Ermutigen, Beschützen

Hollywood schafft das von Zeit zu Zeit - dieses imaginäre, kollektive, aber meist doch sehr diffuse Selbstbild in der Wirklichkeit aufzuspüren und dann als Fiktion zu formulieren, die wiederum gestaltend in die Realität zurückwirkt. Ein höchst profitabler Kreislauf, finanziell wie ideell, der zahlreiche Klassiker des populären Kinos hervorgebracht hat - von Frank Capras Ist das Leben nicht schön? über Spielbergs E.T. bis zu Forrest Gump oder Erin Brockovich. John Lee Hancock wird mit The Blind Side nicht ganz in den Kreis dieser Filme vorstoßen, die im Kinogedächtnis gewissermaßen die Jahresringe markieren - aber seine Aktualisierung des Prinzips ist doch aufschlussreich.

Eine wahre Geschichte: Weiße, wohlhabende Familie in Memphis, Tennessee nimmt entwurzelten schwarzen Schüler bei sich auf, der zwar erkennbar über athletisches Talent verfügt - als gigantisch dimensionierter Football-Spieler - aber nicht den Rückhalt hat, jene Noten zu schreiben und Tests zu bestehen, die für College-Stipendium und spätere Profikarriere nötig wären. Zuhören, Ermutigen, Beschützen, den fast autistischen Panzer seiner Verschlossenheit durchbrechen, bei Lehrern und Trainern, die sein Potential verkennen, auch mal Rabatz machen - das bewirkt schon viel für den jungen Mann.

Das All-American Traumgespann

Noch mehr bewirkt eine eigene Tutorin, die am Ende praktisch Tag und Nacht zur Nachhilfe abgestellt wird; ganz zu schweigen vom ersten eigenen Zimmer und vom ersten eigenen Auto, schließlich von der offiziellen Adoption. Am Ende ist ein neuer Star geformt, der im Jahr 2009 in die Profiliga einsteigen und auf Anhieb Millionen verdienen wird. Das ist die Geschichte von Michael Oher, derzeit "Offensive Tackle" der Baltimore Ravens, und seinen weißen Adoptiveltern Leigh Anne und Sean Tuohy, im Film ziemlich brillant gespielt von Sandra Bullock und Tim McCraw. Sie ist eine leicht trashige Naturgewalt, die niemals aufgibt, er fügt sich ganz wunderbar ins Schicksal der essenziellen Irrelevanz, das den Great American Dad umweht.

Man kann das alles verraten, weil es die unhinterfragte Voraussetzung des Films ist - wäre bei all der Anstrengung kein Sieger herausgekommen, könnte die Story so gar nicht erzählt werden. Hier wird Gutes getan, aber nicht für ungewissen Gotteslohn im Jenseits - der Erfolg muss sich schon im Hier und Jetzt manifestieren. Genauso haben es Leigh Anne und Sean immer gehalten, genauso hat es für sie auch immer funktioniert: Er war selbst Sportstar im College, Fach Basketball, sie war sein Cheerleader Sweetheart - das All-American Traumgespann.

Das Familienleben der Tuohys ist das reine Paradies

Gemeinsam besitzen sie jetzt ungefähr achtzig Fastfood-Restaurants, überlassen die Arbeit anderen und leben in einer mittelgroßen Villa mit Säulenportal. Tochter und Sohn gehen auf die private, ausgezeichnet beleumundete "Wingate Christian School", die nur im Film so heißt - als könne der Titel gar nicht sprechend genug sein: Wer durch dieses Tor geht, muss ein "Winner" werden. Hier landet, mehr oder weniger durch Zufall und Barmherzigkeit, auch der künftige Adoptivsohn Michael, verhalten aber doch kraftvoll verkörpert vom Newcomer Quinton Aaron. So nimmt die Geschichte ihren Lauf . . .

All die Attribute von Erfolg und Stabilität , die nun gewissermaßen per Osmose von Leigh Anne und Sean auf den verlorenen Sohn Michael übergehen, sind nicht unbelastet. Normalerweise taugen sie im Kino nur noch zur Tarnung für Bösewichter, leicht zu durchschauen - kein Erzähler wagt es mehr, derart pfeilgerade amerikanische Lebenswege zu entwerfen. Darüber macht sich John Lee Hancock allerdings keinen Kopf.

Er scheut sich auch nicht, die Gegenwelt in ebenso starken Farben auszumalen: Michaels echte Mutter, nach langer Suche aufgespürt, erweist sich als trauriges Wrack, von Cracksucht gezeichnet und fast unfähig, ihre zwölf in alle Winde verstreuten Kinder noch spezifischen Vätern zuzuordnen. Das Familienleben der Tuohys ist dagegen, gerade auch in seiner selbstverständlichen Pizza-vorm-Fernsehen-Wurstigkeit mit altklugem Sohn und mauliger Tochter, das reine Paradies.

Hier wird also mit größer Selbstverständlichkeit die Existenz des Guten im Herzen Amerikas vorausgesetzt. Und es wird zur Not auch - etwa wenn Sandra Bullock schwarzen Gangstern aus Michaels altem Slum mit dem Sheriff droht und mit eigenen Mitgliedschaft in der "National Rifle Association" - tatkräftig gegen das Böse abgegrenzt.

Der Mainstream will die Zeit nicht zurückdrehen

Überraschend ist dann aber, wie lässig das im Grunde geschieht. Nach all dem Post-9/11-Gejammer, mit dem das konservative Amerika fast ein Jahrzehnt lang im aggressiv salbaderndem Selbstmitleid festhing, hat das eine neue Qualität. Sie unterscheidet sich auch fundamental von jenen Bocksgesängen eines neuen Bürgerkriegs, mit denen die sogenannte "Tea Party"-Bewegung derzeit zur Hetze auf alles Liberale bläst.

Nein, der weiße konservative Mainstream, wie er sich in diesem Film so gerne wiedergefunden hat, will die Zeit nicht mehr zurückdrehen. Der größte Triumph für die Tuohys ist es am Ende, dass sich Michael für ein Stipendien-Angebot an der University of Mississippi entscheidet - "Ole Miss", ihre eigenen, heiß geliebten Alma Mater. So wird stolze Familientradition gewahrt. Und genau deshalb muss es der Film auch mit keinem Wort erwähnen, dass es just diese Universität war, die Kennedy noch 1962 mit militärischer Gewalt dazu zwingen musste, ihren ersten schwarzen Studenten aufzunehmen. Der Hass war so groß damals, dass es Tote gab.

THE BLIND SIDE, USA 2009 - Regie, Buch: John Lee Hancock. Kamera: Alar Kivilo. Mit Sandra Bullock, Tim McCraw, Quinton Aaron. Warner, 128 Min.

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Quelle:
SZ vom 25.3.2010
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