Süddeutsche Zeitung

Im Kino: Shahada:Arten der Liebe

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Im Bekennermodus: Bruhan Qurbanis "Shahada" erzählt in drei episodischen, hochdramatisch aufgespreizten Geschichten von jungen Muslimen in der Sinn- und Lebenskrise.

Rainer Gansera

"In Allahs Augen sind alle Arten der Liebe gut", formuliert Imam Vedat mit gütiger und beruhigender Stimme. Vedat ist Vorsteher einer islamischen Gemeinde in Berlin, er spricht dem jungen Nigerianer Samir (Jeremias Acheampong), der seine Homosexualität für äußerst sündhaft hält, theologischen Trost zu.

Vedat, alleinerziehender Vater, zeigt sich als Ausbund an Güte, Verstehen und Toleranz. Gibt es einen solchen Imam in Wirklichkeit? In Shahada gibt es ihn, und er ist ein so liebenswürdiger Sentimentbolzen, als wolle er seine Gebetsteppiche in der Lindenstraße ausrollen.

Um seine Moschee kreisen drei episodische, hochdramatisch aufgespreizte Erzählungen von jungen, in Sinn- und Lebenskrisen befindlichen Muslimen. Vedat ist Garant für jene politische Korrektheit und Fördergremienkompatibilität, auf die hin Burhan Qurbanis Kinodebüt mit jeder Figur, jedem Schnitt berechnet ist. So wurde Shahada in den Berlinale-Wettbewerb eingeladen, erhielt das Prädikat "Besonders wertvoll".

Ein Film mit heftigem Bekenntnisdrang, im demonstrativen Bekenntnisformat - Shahada bezeichnet das islamische Glaubensbekenntis. Burhan Qurbani, in Deutschland aufgewachsen als Kind afghanischer Flüchtlinge, Absolvent der Filmakademie Baden-Württemberg, stellt seine Figuren, anstatt sie als Charaktere glaubwürdig durchzuzeichnen, immerzu im Bekennermodus aus.

"Du hast vergessen, vor lauter Toleranz und Offenheit ein Muslim zu sein!"

Die 19-jährige Mayram (Maryam Zaree), Tochter des guten Imam, zeigt sich zu Beginn als munteres Disco-Girl, um sich dann, nach einer reichlich blutig in Szene gesetzten Abtreibung auf dem Disco-Klo, plötzlich in eine Hardcore-Fundamentalistin zu verwandeln. Wenn sie nach der Abtreibung in die Krise stürzt, zieht sie sich nicht zur Selbstbesinnung zurück, sondern beschimpft den Vater: "Du hast vergessen, vor lauter Toleranz und Offenheit ein Muslim zu sein!"

In der dritten Episode nimmt ein türkischstämmiger Polizist seine Schuldgefühle gegenüber einer illegal eingewanderten Bosnierin zum Vorwand, um Frau und Kind zu verlassen. Schuldgefühle tragen die drei Protagonisten fortgesetzt mit sich herum, wie die emblematische Maskerade einer Verzweiflung, die Verlangen nach einer mächtigen Überich-Instanz aufkeimen lässt, nach "einem Gott, der sieht und straft".

Hätte Burhan Qurbani den Drama-Exzess noch etwas weiter getrieben, wäre herrlicher Melo-Trash daraus geworden. Aber er meint es richtig ernst. Merkwürdig, dass er - wie viele junge Filmemacher, die in letzter Zeit von Migrantenschicksalen erzählten - unfähig ist, substantielle Freiheitsbilder zu finden.

"Freiheit" präsentiert sich hier in teuflischer Anmutung: als Disco-Anarchie und in den Anfechtungen der Fleischeslust. Durchaus ähnlich wie in amerikanischen, von puritanischer Moral getränkten Dramen. "Freiheit" dient dem Lustprinzip, erscheint als Gespenst, nicht als innerster Lebensanspruch. So verstrickt Qurbani seine Helden in Schicksale, die sich den Klischees des deutschen TV-Problemfilms gefällig einfügen.

SHAHADA, D 2010 - Regie: Burhan Qurbani. Buch: Burhan Qurbani, Ole Giec. Kamera: Yoshi Heimrath. Mit: Maryam Zaree, Jeremias Acheampong, Carlo Ljubek, Marija Skaricic. 3Rosen, 88 Min.

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Quelle:
SZ vom 01.10.2010
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