Süddeutsche Zeitung

Im Kino: Ajami:Stadt der Götter

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Ein heruntergekommenes Viertel bei Tel Aviv, Drogenhandel, Selbstjustiz, Gewaltausbrüche: Ajami ist ein Gangsterfilm, die Hoffnungslosigkeit des Nahostkonflikts erzählt er nur nebenbei.

S. Vahabzadeh

Es sind Geschichten ohne Hoffnung, die die beiden Israelis Yaron Shani und Scandar Copti verwoben haben für ihren Film, der einer der fünf Nominierten für den diesjährigen Auslands-Oscar war. Sie haben Leute aus der Gegend als Schauspieler angeheuert, eine sehr authentisch erzählte Geschichte; aber Ajami ist ein Gangsterfilm, kein Message-Movie, eine Art City of God auf Hebräisch und Arabisch. Ein paar Dinge über die Hoffnungslosigkeit des Nahostkonflikts, über die Unmöglichkeit von Kommunikation, erzählt er eher nebenbei.

Es geht um ein paar Tage in Ajami, einem heruntergekommenen Viertel von Jaffa, der arabischen Stadt direkt neben Tel Aviv, um Christen, Muslime, Juden: Malek ist gerade sechzehn geworden, ein Junge aus dem Palästinensergebiet, ein Illegaler, der in einem Restaurant wohnt und arbeitet und nicht weiß, wie er seiner kranken Mutter helfen soll, die kein Geld hat, um eine notwendige Operation zu bezahlen. Binj, der im selben Restaurant arbeitet, will raus aus dem Viertel, zu seiner jüdischen Freundin nach Tel Aviv ziehen - aber Familie und Freunde empfinden das als Verrat. Und Omar ist in eine Familienfehde geraten: Sein Onkel hat auf einen Schutzgelderpresser geschossen, dessen Familie Vergeltung fordert.

Missbräuchliche Familienclanjustiz

Ein Toter und ein Verletzter sind ihnen im Gegenzug nicht genug für ihren angeschossenen Kriminellen, sie verlangen von Omar und seiner alleinstehenden Mutter eine Summe, die die beiden nicht aufbringen können. Omar sieht keinen Ausweg, als mit Drogen zu handeln. Eine Instanz, die er um Hilfe bitten könnte, fällt Omar nicht ein - er fühlt sich nicht als Bürger des Staates, in dem er lebt. Den vertritt der Polizist Dando, dessen Bruder, Soldat, verschwunden ist.

Es gibt kein Recht innerhalb dieser Gemeinschaft, nur eine selbstgemachte, missbräuchliche Familienclanjustiz, der sich alle unterwerfen müssen, eine knallharte Klassengesellschaft - die arabischen Israelis fühlen sich den Losern aus dem Gaza-Streifen und der Westbank klar überlegen. Die tatsächliche demokratische Ordnungsmacht wird als Feind begriffen. Jeder Versuch der Polizei, in Ajami Drogenhandel und Selbstjustiz und Gewaltausbrüche in Schach zu halten, wird als Übergriff gewertet. Ein israelisches Problem - aber letztlich funktioniert ein Bandenkrieg in Los Angeles auch nur im rechtsfreien Raum.

Eine zusammengebastelte Wahrheit

Shani und Copti - Shani ist jüdisch und aus Tel Aviv, Copti ist Christ und stammt aus Jaffa - haben als Erzählstruktur für dieses Geflecht eine Wiederholung in Kapiteln gewählt, dieselbe Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln, mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Die Methode ist nicht neu, man kennt sie beispielsweise aus Tarantinos Jackie Brown - hier schafft sie die ideale Form, um das Dilemma deutlich zu machen, aus dem Malek und Omar sich nicht befreien können.

Es sind Details, die in den einzelnen Kapiteln unsichtbar bleiben, ein Polizeieinsatz wird als nächtlicher Mord missverstanden, jeder bastelt sich eine Wahrheit zusammen, die sich auf seine Weltanschauung reimt. Ein wunderbarer Film - dass er der Oscar-Academy, den Vertretern des amerikanischen Versöhnungskinos, letztlich doch zu düster war, ist dennoch nicht erstaunlich. Es gibt kein Licht in Ajami, nicht einmal die Flucht in die Liebe.

AJAMI, Israel 2009 - Regie, Buch, Schnitt: Yaron Shani, Scandar Copti. Kamera: Boaz Yehonatan Yacov. Mit: Shahir Kabaha. Neue Visionen, 120 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 12.03.2010
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