Süddeutsche Zeitung

Hörbuchkolumne:Mein Ohr war hellwach

Lesezeit: 3 min

Die Straßen von Rom, Tel Aviv und Ost-Jerusalem, die hohen Töne der Blechtrommel und ein wilder Geist in den besten neuen Hörbüchern.

Von Florian Welle

Lizzie Doron, 1953 in Tel Aviv geboren, galt in ihrer Heimat lange als eine Galionsfigur der Holocaustliteratur. Dann fing die Tochter einer Überlebenden mit "Who the Fuck Is Kafka" (2015) und "Sweet Occupation" (2017) an, den Palästinensern zuzuhören, und fand in Israel dafür keinen Verlag mehr. Bei DAV ist nun die konzentrierte Hörspielbearbeitung von "Who the Fuck Is Kafka" erschienen, die Andrea Getto 2016 für NDR-Kultur eingerichtet hat (1 CD, 1 Stunde, 11 Minuten).

In dem Buch, einer Mischung aus Dokumentation und Fiktion, erzählt Lizzie Doron von ihrer wechselvollen Freundschaft mit dem palästinensischen Journalisten Nadim, den sie auf einer Friedenskonferenz in Rom kennengelernt hat: "Wir passten zusammen, wie ein Pferd und ein Ochse, die man zusammen vor einen Pflug gespannt hatte." Beide versuchen, Verständnis für ihre Lebenssituation zu wecken, versuchen, dem anderen ihre Sicht auf den Nahostkonflikt begreiflich zu machen, und reden doch immer aneinander vorbei. Zu groß scheinen die Vorurteile zu sein, zu tief der Argwohn. Trotzdem wagen sie den Versuch, sich künstlerisch anzunähern und so mehr voneinander zu erfahren: Nadim will einen Film über Lizzie drehen, sie ein Buch über ihn schreiben.

Die Hörspielregisseurin Andrea Getto hat die Vorlage gekürzt und fängt doch ihren Geist ein. Corinna Kirchhoff spricht Lizzie mit schneidender Kühle - "Warum bin ich hergekommen, wir sind Feinde und werden es immer bleiben" -, die sich erst ganz allmählich verliert, wärmer wird. Felix Knopp ist als Nadim mitunter selbstgewiss bis zur Borniertheit - einen Besuch in Yad Vashem lehnt er strikt ab. Für atmosphärische Dichte zwischen den Schauplätzen Rom, Tel Aviv und Ost-Jerusalem sorgen die Geräusche von Straßen und Cafés sowie die musikalische Rahmung mit Oud und Gitarre.

Musik dient bei Stefan Weinzierl nie als bloße Untermalung. Der Schlagzeuger und Multi-Perkussionist lässt sie in seinen kurzweiligen Konzertlesungen, die er mit bekannten Schauspielern erarbeitet, den Rang eines akustischen Bedeutungsträgers einnehmen. Im Leipziger Buchfunk-Verlag kann man gerade zwei von ihnen fernab der Bühne erleben. Zum einen "Die Blechtrommel" nach Günter Grass mit Devid Striesow (2 CDs, 1 Stunde, 38 Minuten) und "Die Zeitmaschine" nach dem gleichnamigen Roman von H. G. Wells mit Dominic Raacke (2 CDs, 1 Stunde, 21 Minuten). Zwei Werke des literarischen Kanons, die von Weinzierl mit Marimba, Vibrafon und Elektronik einer musikalischen Frischzellenkur unterzogen werden. Im Fall der "Blechtrommel" ist Weinzierl klug genug, dieses Instrument sparsam einzusetzen. Die Trommelstöcke verwandeln sich hier in Zauberstäbe, die eben nicht einfach nur Schlaggeräusche ertönen lassen.

"Mein Ohr war hellwach", lässt Ich-Erzähler Oskar, der mit drei Jahren innerlich und äußerlich komplett fertig ist und das Wachsen einstellt, gleich zu Beginn wissen. Ein Satz, der auch für die Hörer gilt. Devid Striesow leiht dem maliziösen Gnom mit schier diebischer Freude seine Stimme, die die genau richtige Mischung aus kindlich und erwachsen hat. Das Buch wurde für das Projekt auf seine prägnantesten Szenen verknappt - Brausepulver! -, was ausgezeichnet funktioniert. Schon bei seinem Erscheinen 1959 konstatierte der Kritiker Reinhard Baumgart: "Stärker als der Roman als Ganzes drängen sich seine Episoden auf ..."

Der Literaturwissenschaftler und Philosoph Alois M. Haas ist einer der renommiertesten Mystikforscher - seine rund 50 000 Bände umfassende Bibliothek bildet die Grundlage für die 2003 in Barcelona gegründete "Bibliotheca Mystica et Philosophica Alois M. Haas". Auf dem im Supposé-Verlag erschienenen Hörbuch "Mein Geist hat sich verwildet" erzählt der heute 87-jährige Schweizer seine "persönliche Geschichte der Mystik" (3CDs, 3 Stunden, 8 Minuten). Haas' federndes Denken, das immer auf dem Sprung ist und mühelos von Plotin zu Zhuangzi und von dort zu den Athos-Mönchen wechselt, macht neugierig auf Persönlichkeiten, denen es mit "der Geheimnisdimension der menschlichen Existenz" im Spannungsfeld von "Welt- und Selbstbewältigung" ernst ist. Im Zentrum steht Meister Eckhart, aber auch bedeutende Mystikerinnen wie Mechthild von Magdeburg und Teresa von Ávila. Haas liest aus ihren mit Paradoxa gespickten und zunächst einmal schwer fassbaren Werken, um gleich darauf Hilfestellungen zum Verstehen der Gedankengänge vor dem Hintergrund ihrer Entstehungszeit folgen zu lassen.

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