Süddeutsche Zeitung

Hörbuch "Hinab in den Maelström":Überleben? Nur bei Totwasser

Lesezeit: 3 min

Christian Brückner und das Martin Auer Quintett gestalten Edgar Allan Poes aberwitzigste Geschichte als Erzählkonzert.

Von Fritz Göttler

Es wäre Wahnsinn, den Orkan, der nun einsetzte, beschreiben zu wollen, so heißt es plötzlich mitten im Lauf dieser Erzählung. Ein Erzähler gesteht sein Unvermögen ein, ein Naturschauspiel seinem Zuhörer zu vermitteln. Das Unbeschreibliche, das Unbegreifliche, das Schaurige und Groteske in Worte zu fassen, war das Vorhaben des großen Erzählers Edgar Allan Poe, und es ist aufregend, wie in seinen Erzählungen um Formulierungen gerungen wird. Poe ist bekannt für seine schwarzen Schauergeschichen, in denen er die bürgerliche Psyche sezierte, in all ihren bedrückenden und perversen Auswüchsen. Und er hat einige der klügsten klassischen Detektivgeschichten verfasst, in denen er die Logik des Genres begründete.

Eine seiner aberwitzigsten Geschichten ist "Hinab in den Maelström" ("A Descent into the Maelström", veröffentlicht im Jahr 1841). Ihr Schauplatz ist ein gewaltiges Naturphänomen, der reißende Wasserwirbel vor der norwegischen Küste. Es ist eine ganz einfache Geschichte, mit tödlicher Konsequenz, von einem Fischer, der in diesen Strudel reingezogen wird und stundenlang darin kreist, sein drohendes Ende an seinem Boden vor den Augen. Und wie er sich dann doch daraus retten kann ... Allerdings: "Mein Haar, das tags vorher rabenschwarz gewesen, war so weiß, wie Sie es jetzt erblicken."

Die Musik schafft eine Atmosphäre der Gespanntheit, die das Erzählen vorbereitet

Der Fischer und seine Brüder kennen natürlich die Gefahren des Maelströms - Moskoeström sagen die Norweger, nach der Insel Moskoe in seiner Nähe -, aber die Fanggründe jenseits des Schlunds sind einfach die ergiebigsten, deshalb fahren sie immer wieder hin. Für eine Viertelstunde ist die Stelle des Strudels ruhig und passierbar, beim Wechsel zwischen Ebbe und Flut, dem "Totwasser". Eines Tages schaffen die Brüder die Rückfahrt nicht, geraten in den Wirbel, mit seiner "glatten, leuchtenden und kohlschwarzen Wassermauer". Alles wird hier unerbittlich nach unten gezogen, Wale und Bären, Fichten und Buchen, Schiffe aller Größe.

Martin Auer hat Poes Text eingerichtet und Regie geführt, das Martin-Auer-Quintett sorgt für die Musik. Die ersten Minuten schaffen mit ihren jazzigen Klängen - eine verhaltene Klarinette, schabendes Schlagzeug, flackernde Pianotöne - eine Atmosphäre der Gespanntheit, die das Erzählen vorbereitet. Dann setzt der Erzähler ein, lakonisch und unaufgeregt, es ist Christian Brückner. Unzählige Hörbücher hat er gesprochen, Dutzende Male war er im Kino die deutsche Stimme von Robert De Niro, angefangen mit "Godfather II" und "Taxi Driver". Am 17. Oktober wird er 80 Jahre alt.

Ein Erzählkonzert nennen Auer und Brückner ihr Werk, das ist eine schöne Beschreibung für ein Genre, in dem Musik und Stimme gleichwertig zusammenwirken. Nie peitscht die Musik dramatisch und klangmalerisch die Schrecken des Maelströms auf, immer fährt der Erzähler pathetische Sätze, von Poes kluger Erzählführung geleitet, zurück. Die Gelassenheit des klassischen Erzählens - das natürlich immer auf Mündlichkeit basiert.

Runde Gegenstände brauchen am längsten, bis sie am tödlichen Grund des Strudels anlangen

Eine einfache Geschichte, ein paar Stunden im unaufhaltsamen kreisenden Abstieg in den Maelström. Poe hat keinen Sinn fürs Spektakuläre und für Horror, er ist ein großer analytischer Geist, stark fasziniert von Philosophie und Naturwissenschaft. In seinem Erzählen (erst recht in seinen Gedichten) steckt coole Kalkulation und messerscharfes Überlegen. Der Fischer macht, bei seinem Kreisen, wichtige Beobachtungen - runde Gegenstände brauchen am längsten, bis sie auf den tödlichen Grund des Strudels kommen und verschlungen werden ...

Christian Brückner hat genau den richtigen, nüchtern-sachlichen Ton dafür. Und mit einem Mal gewinnt diese einfache Schauergeschichte, auch das klingt sehr schön im Erzählkonzert an, eine unglaubliche Komplexität, wird zur Parabel des Menschen und seines Drangs nach Erkenntnis. "Wie prahlerisch es auch klingt, es ist dennoch wahr: Ich begann zu empfinden, welch herrliche Sache es sei, auf diese Weise zu sterben, und wie töricht es von mir war, beim Anblick solch großartigen Beweises von Gottes Herrlichkeit an mein eigenes erbärmliches Leben zu denken. Ich glaube, ich errötete vor Scham, als dieser Gedanke mir in den Sinn kam. Nach einiger Zeit erfasste mich eine wilde Neugier bezüglich des Strudels selbst ... Ich fühlte tatsächlich den Wunsch, seine Tiefen zu ergründen, obgleich ich mich selbst dabei opfern musste, und mein hauptsächlicher Kummer war der, dass ich meinen alten Gefährten an Land niemals von den Wundern berichten sollte, die ich erschauen würde."

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