Süddeutsche Zeitung

Historisches Stadtjubiläum:Von Karlsruhe in die Unendlichkeit

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Die barocke Planstadt wird 300 Jahre alt. Eine Ortsbegehung der weltberühmten Straßenstrahlen, die in wunderbaren Jubiläums-Ausstellungen mündet.

Von Johan Schloemann

Karlsruhe? Nein, von allen Orten dieser Welt hat diese Stadt nicht das glamouröseste Image. Gut, es gibt dort die höchste deutsche Gerichtsbarkeit und besten badischen Wein. Aber das Klima neigt zu stickiger Schwüle, alles wirkt erst einmal behäbig, und die Leute in dieser Metropole des Oberrheins sagen immer in Zeitlupe "Hajooo", wenn sie konkret ihre Zustimmung oder generell ihre Gelassenheit ausdrücken wollen. Also sehr oft.

So kann man sich leicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gegend zwischen Stuttgart, Straßburg und Mannheim historisch gesehen eine wichtige Quelle deutscher Liberalität und Modernität ist - und Karlsruhe heute zu einer regelrechten Boomtown geworden ist: Die Arbeitslosigkeit ist niedrig, das technische Niveau hoch. Die Rheinebene mag nicht das Silicon Valley sein, aber hier hat mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) eine der stärksten technischen Universitäten Europas ihren Sitz. In einem riesigen Rechenzentrum wird beinahe die Hälfte aller deutschen Websites verwaltet. Rund um die Staatliche Hochschule für Gestaltung und das Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM), rund um Denker und Weltdeuter wie Peter Sloterdijk und Peter Weibel ist hier einer der wichtigen intellektuellen und künstlerischen Zirkel des Landes entstanden: Salon und Labor Karlsruhe.

"Wenn man hineintritt, so ist es, als ob ein geordneter Verstand uns anspräche."

Während nun die Innenstadt gerade für ein neues Verkehrskonzept umgegraben und untertunnelt wird, während sich viele Leute im Staub zwischen den Baustellen Gedanken über eine intelligente Stadtentwicklung machen, feiert Karlsruhe seinen dreihundertsten Geburtstag. Nun ja, könnte man sagen, auch Städte werden eben älter. Aber Karlsruhe ist doch ein besonders interessanter Fall - weil diese Stadt aus dem Nichts, aus einer Idee, aus einem Plan heraus gebaut wurde.

Zweiunddreißig strahlenförmige Straßen, die sich in der Mitte treffen, bestimmen die Struktur der Stadt bis heute. Der Clou dabei ist, dass mit der Grundsteinlegung am 17. Juni 1715 zwei Dinge zeitlich und geometrisch zusammenfielen, die andernorts getrennt waren: der Bau der Residenz eines barocken Alleinherrschers im Grünen mit der Gründung einer modernen Stadt. In die alte ständische Gesellschaft, so könnte man sagen, wurde hier die neue bürgerliche, am Ende demokratische Gesellschaft untrennbar mit eingebaut.

Dem Stadtgründer, dem Markgrafen Karl Wilhelm von Baden-Durlach, ist jetzt in seinem Schloss, dem Sitz des Badischen Landesmuseums, zum ersten Mal eine große Ausstellung gewidmet, es ist der Beginn eines ganzen "KA 300"-Jubiläumsreigens. Er, absolutistischer Herrscher eines Kleinstaates, der sich von mehreren Kriegen gegen die Franzosen erholen musste, ein zeittypischer Fürst, der sich Mätressen, Orangenbäume, exotische Tiere, Manufakturen und Hofmusiker hielt - dieser Mann mag selber noch gar nicht überrissen haben, wie sehr er mit seinem rationalistisch abgezirkelten Stadtplan schon den Keim einer republikanischen Stadtgesellschaft gesät hat.

Der Fürst verfügte damals persönlich, "dass die Häuser dieser Stadt in einer äußerlichen zierlichen Gleichheit aufgestellet werden sollen" - war aber selber noch fest davon überzeugt, dass alle Strahlen auf ihn selbst zuliefen. Auf wen denn auch sonst! Doch ein Jahrhundert später kamen aus diesen egalitär angelegten Häusern, um es mit Peter Sloterdijk zu sagen, "die schrecklichen Kinder der Neuzeit": Karlsruhe wurde ein Ausgangsort liberaler Verfassungen und dann der demokratischen Revolution von 1848. Aus Karls-Ruhe kam nun Unruhe.

Und so wurde auch der Stadtplan Karlsruhes immer wieder bewundert: Thomas Jefferson, der dritte Präsident der USA, besuchte als Gesandter im April 1788 die badische Stadt und fertigte eine Skizze des Grundrisses an. Drei Jahre danach drückte Jefferson dem Baumeister der neuen amerikanischen Hauptstadt Washington D. C. die Pläne von zwölf europäischen Städten in die Hand - darunter eben auch die Strahlenform von Karlsruhe. "Diese Stadt", schwärmte der Dichter Heinrich von Kleist im Jahr 1801 in einem Brief, "ist klar und lichtvoll wie eine Regel, und wenn man hineintritt, so ist es, als ob ein geordneter Verstand uns anspräche." Und auch ein teils pragmatischer, teils durchgeknallter Visionär der Moderne wie der Architekt Bruno Taut wurde für seine Idealstadt-Utopie "Die Stadtkrone" (1919) von der Karlsruher Anlage inspiriert.

Das Radialsystem geht auf eine Idee der Renaissance zurück: Die Gestalt der Stadt sollte der Ordnung des Kosmos entsprechen, mit der Sonne in der Mitte. Noch ursprünglicher stammt der utopische Gedanke der idealen Planstadt aus der Antike, von Platon, und aus dem himmlischen Jerusalem im Christentum. Alles ganz schön, dachten sich verschiedene Machthaber im Laufe des 16. Jahrhunderts - aber geht es nicht auch etwas nützlicher? Also übernahmen ihre Militärplaner die Radialform, die Idealstadt wurde zur Festungsstadt mit dicken Mauern, und der schöne Glutkern in der Mitte wurde zum Exerzierplatz zwischen den Bastionen.

Aus dieser mal zivilen, mal militärischen Landnahme entstanden über die Jahrhunderte diverse Reißbrettstädte auf der ganzen Welt: Von Palmanova im Friaul über Mannheim und die Berliner Friedrichstadt bis hin zu Manhattan, Brasilia, den afrikanischen Planstädten und zuletzt den Großstädten, die heute in China aus dem Boden gestampft werden.

Die Idee der Idealstadt soll in neue Sphären führen - ein Festival heißt gleich mal "Die Globale

All das sind Gegenmodelle zur evolutionär, historisch, verwinkelt wachsenden alteuropäischen Stadt: gerade statt schief! Das Vorhaben, die gesamte Anlage der Stadt auf einen zentralen Punkt auszurichten - hier: das Schloss -, wurde aber am konsequentesten im Versailles des Sonnenkönigs, Ludwigs XIV. (ab 1661), und eben in Karlsruhe ins Werk gesetzt. Da man hier, nach all den Kriegen, auf eine Festungsmauer verzichtete, laufen die Strahlen von Karlsruhe im ursprünglichen Plan bis ans Ende der Landesgebiets, ja ins Unendliche.

Der Stadtgründer selbst, Karl Wilhelm, ist eine reizvolle Übergangsfigur; erst sein Enkel und Nachfolger, Karl Friedrich, wird dann der eigentliche Reform- und Aufklärungsherrscher in Baden sein. Die Ausstellung führt die Laufbahn des Fürsten, die Verwandtschaften und Allianzen und den ganzen höfischen Macht- und Unterhaltungsapparat in der neuen Residenz vor: Jagd, Medizin, Reisen, Sex, Kleidung, Münzwesen, Musik, Merkantilismus, Gartenbesessenheit und Alchemie . . .

Das macht schon Spaß, dieses ganze adelige Klimbim, einschließlich des Tauf- und Tafelsilbers, das die heutigen Nachfahren des Hauses Baden aus ihren Schränken in Salem dem Museum ausgeliehen haben. Und doch ist es ja derselbe Karl Wilhelm, der sich eine Bürgerstadt direkt vor die Nase setzt. Die wachsende Bedeutung dieser Stadt Karlsruhe gegenüber dem Hof wird dann bald in den Bauten des klassizistischen Architekten Friedrich Weinbrenner (1766- 1828) sichtbar, dem im Sommer eine eigene Ausstellung gewidmet sein wird. Ebenfalls für sich gewürdigt wird ab Ende Mai in der Kunsthalle die Ehefrau von Karl Wilhelms Nachfolger, Karoline Luise von Baden, die mit Voltaire und Goethe verkehrte und den Kern der Karlsruher Kunstsammlung zusammenkaufte.

Und wenn es gut läuft, dann führt das Nachdenken über die Stadt- und Kunstgeschichte in Karlsruhe auch wieder zu ganz neuen Ideen. Das schwer angesagte Berliner Architekturbüro Jürgen Mayer H. baut einen waghalsigen temporären Pavillon im Schlossgarten, und der ZKM-Impresario Peter Weibel startet ein neues Digital-Stadt-Kunst-Zukunftsfestival mit dem nicht gerade unbescheidenen Titel "Die Globale". Das ist dann wohl so, wenn zumindest in unserer Weltgegend wenig Platz für neue Planstädte da ist: Dann bauen wir sie eben wieder in der Luft.

Karl Wilhelm. Karlsruhe, Badisches Landesmuseum, bis 18. Oktober. Katalog (Hirmer Verlag): im Museum 29,50 Euro. Info: www.landesmuseum.de

Die Meistersammlerin. Karoline Luise von Baden. Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, 30. Mai bis 6. September. Info: www.kunsthalle-karlsruhe.de

Friedrich Weinbrenner. Architektur und Städtebau des Klassizismus. Stadtische Galerie Karlsruhe, 27. Juni bis 4. Oktober. Info: www.weinbrenner-ausstellung.de

KA 300, Stadtgeburtstag Karlsruhe, ca. 700 Veranstaltungen, ab 17. Juni bis 27. September. Info: www.ka300.de, siehe auch www.zkm.de/globale

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SZ vom 21.05.2015
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