Süddeutsche Zeitung

Historiker:Der umzingelte Text

Lesezeit: 4 min

Die neue wissenschaftliche Ausgabe von "Mein Kampf" ist billig zu erwerben. Trotzdem werden Rechtsradikale keinen Spaß daran haben - sagt Andreas Wirsching, Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, im Gespräch mit der SZ.

Von Rudolf Neumaier

Seit 2011 leitet Andreas Wirsching das Institut für Zeitgeschichte (IfZ). Einen Medienrummel wie in diesen Tagen hat er bislang noch nicht erlebt. Die kommentierte Ausgabe von Hitlers "Mein Kampf", die das Institut für Zeitgeschichte erarbeitet hat, sorgt weltweit für großes Aufsehen.

SZ: Das Institut für Zeitgeschichte gibt die kritisch kommentierte Ausgabe von "Mein Kampf" auf eigene Faust heraus. Auch auf eigene Kosten?

Andreas Wirsching: Die gesamte Herstellung des Buches wird von uns finanziert - von den Personalkosten will ich gar nicht reden. Eigene öffentliche Mittel gab es für dieses Projekt nicht. Wir haben alles selbst gemacht oder in Auftrag gegeben: Layout, Drucken, Binden, Lagern, Ausliefern. Wir haben mit einer Auflage von 4000 Stück so kalkuliert, dass wir damit keine großen Verluste machen. Als sich aber abzeichnete, dass die erste Auflage schon durch Vorbestellungen so gut wie verkauft sein würde, haben wir die Erstauflage erhöht. Das Buch wird, auch wenn es bald ausverkauft sein wird, relativ schnell im Januar wieder lieferbar sein. Wir können schnell nachdrucken. Von dieser extrem starken Nachfrage waren wir allerdings selbst überrascht.

Mit 59 Euro für circa 2000 Seiten in zwei gebundenen Leinenbänden fällt der Preis vergleichsweise gering aus. Warum haben Sie ihn nicht höher angesetzt?

Der Preis ist nicht in erster Linie dafür gedacht, dass wir die Kosten decken. Sonst hätten wir einen höheren Preis genommen. Darüber haben wir in mehreren Gremien intensiv diskutiert, auch mit dem israelischen Generalkonsul. Die Mehrheitsmeinung war: Es sollte erschwinglich sein. Eine wissenschaftliche Edition dieser Art kostet üblicherweise mehr als hundert Euro, mindestens. Einerseits ist "Mein Kampf" unstrittigerweise eine fundamentale Quelle für die Geschichte Adolf Hitlers und des Nationalsozialismus, insofern ist die Ausgabe auch längst ein wissenschaftliches Desiderat. Jetzt kommt aber dieses Datum des Erlöschens der Urheberrechte dazu, und da gibt es eine Menge andere Implikationen politisch-moralischer Art.

Aber wie hängt der Preis mit dem Erscheinungstermin zusammen?

Wir wollen von Anfang an möglichst viel Aufmerksamkeit für diese Ausgabe erzielen, um kommerziellen oder ideologisch gesteuerten Projekten das Wasser abzugraben, die möglicherweise konkurrieren. Würden wir jetzt einen dreistelligen Betrag ansetzen, könnte das abschreckend wirken. Es ist also ein offensiver Preis. Zudem können wir wegen des großen Interesses in der Öffentlichkeit, das weit über die Fachcommunity hinausgeht, einen Beitrag zur historischen Bildung und Aufklärung leisten. Und das ist ein genuines Anliegen der wissenschaftlichen Zeitgeschichte - gerade wenn es um die Geschichte von Gewalt, Terror, Rassismus und Nationalsozialismus geht. Wir glauben, dass das Buch auch deswegen erschwinglich sein sollte für Leute, die es sich sonst vielleicht nicht kaufen würden, damit sie sich ein eigenes Bild machen können.

Der Literaturwissenschaftler Jeremy Adler hat eine heftige Philippika gegen Ihr Editionsvorhaben verfasst. Was halten Sie einer solchen Kritik entgegen?

Wie haben in den letzten drei Jahren die Erfahrung gemacht, dass das Interesse für "Mein Kampf" nicht geweckt werden muss. Es existiert, und zwar in einem Ausmaß, das wir in dieser Form nicht erwartet haben. Ich will das Interesse als solches nicht bewerten, aber eines ist ganz klar: Dieses Interesse sucht sich seinen Gegenstand, deshalb ist es wichtig, dass der angebotene Gegenstand seriös ist. Wenn demgegenüber Jeremy Adler die Auffassung vertritt, "Mein Kampf" sei "das absolut Böse" und dürfe daher überhaupt nicht angerührt werden, dann gleicht das einer munteren Arbeit am negativen Mythos.

Inwiefern?

Eine solche Tabuisierung ignoriert nicht nur völlig die historisch-politische und die juristische Konstellation, in der wir uns befinden. Sie würde auch das Ablaufen des Urheberrechts, also den 1. Januar 2016, endgültig zu einem gleichsam "magischen" Datum erheben. Wer tabuisiert, leistet dem Irrationalismus Vorschub, und damit wäre am Ende niemandem gedient. Auch moralisch wäre es schlicht unverantwortlich, dieses Konvolut der Unmenschlichkeit gemeinfrei und kommentarlos vagabundieren zu lassen, ohne ihm eine kritische Referenzausgabe entgegenzustellen, die Text und Autor gewissermaßen in die Schranken weist.

Hitler prägt derzeit den Markt zeitgeschichtlicher Literatur. Inzwischen ist er sogar eine Kinofigur. Und jetzt "Mein Kampf" - ist das nicht etwas viel Hitler?

In bestimmten Wellen erfolgt immer wieder eine Hitler-Zentrierung im öffentlichen Geschichtsbewusstsein. Er übt so etwas wie eine negative Faszination aus, die dann zum Tragen kommt. Im Augenblick kommt einiges zusammen. Es gibt neue wissenschaftliche Bücher über Hitler wie die von Wolfram Pyta, Peter Longerich und Volker Ulrich. Die Verfilmung von Timur Vermes' Bestsellerbuch "Er ist wieder da" war, was die Besucherzahlen angeht, ein erfolgreiches Massenphänomen. Die Truppe Rimini Protokoll hat mit "Mein Kampf" Theater gemacht, jetzt erlöschen die Urheberrechte auf Hitlers Buch, und es erscheint die kritische Edition.

Ist das nicht zum Teil reiner Zufall?

Doch, aber es schaukelt sich natürlich auch gegenseitig hoch. Dabei sehe ich die Gefahr, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, der gesamte Nationalsozialismus - und damit auch die Ermordung der Juden - lasse sich letztlich auf Adolf Hitler zurückführen. Und das wäre fatal, es wäre ein Rückfall in die Fünfzigerjahre.

Wird die neue Edition auch als Taschenbuch gedruckt?

Nein. Eine Taschenbuch-Ausgabe gibt es auf keinen Fall, auch keine E-Book-Ausgabe, denn die ließe sich technisch wegen des aufwendigen Layouts nicht produzieren. Allerdings schwebt uns eine Online-Ausgabe vor. Dafür gäbe es im Prinzip die technischen Voraussetzungen, aber es ist kostenträchtig, und es steht deshalb noch in den Sternen, wie und wann wir das umsetzen können - sicher nicht vor 2017.

Wie können Sie verhindern, dass das Buch in falsche Hände gerät?

Das Buch ist nun im Buchhandel erhältlich. Man kann gar nicht verhindern, dass es Rechtsextreme erwerben. Aber dass der Text nun wirklich frei verfügbar ist, ist leidlich bekannt. Er vagabundiert ja auch im Internet. Ich bin sehr froh, dass das Herumschwirren des Textes zumindest stark konterkariert wird durch unsere Ausgabe. Wir haben das Prinzip verfolgt, dass keine Seite Hitlertext zu erhalten ist, ohne dass man die Kommentare zumindest visuell wahrnehmen muss. Die Kommentare stehen nicht irgendwo im Anhang, sondern sind auf den Doppelseiten um den Text herumgestellt. Das ist, wie ich finde, die einzige Methode, die man anwenden kann, um politisch fragwürdige Leser zu "bedienen". Abgesehen davon fragt sich, ob überhaupt jemand Freude daran haben kann, auch aus dem rechtsradikalen Milieu, Hitler wirklich zu lesen.

Ist "Mein Kampf" noch gefährlich?

Darüber gibt es verschiedene Meinungen. Spezialisten, die sich in der Szene gut auskennen, tendieren dazu, dass diese Schrift keine Rolle spielt - höchstens als Symbol. Ich warne aber davor, kategorisch auszuschließen, dass "Mein Kampf" für Neonazis mehr als ein Symbol darstellt. Hitler reduziert in diesem Buch gewissermaßen exemplarisch seine gesamte Umwelt politisch extrem auf eine Freund-Feind-Konstruktion. Auch die ganze Komplexität gerade auch der Demokratie und der offenen Gesellschaft wird hier entsprechend reduziert. Und dieses Thema, das Gestalten der Demokratie, ist ja nicht so ganz unaktuell, leider Gottes. Mit unserer Ausgabe aber wird ein Rechtsradikaler keinen Spaß haben, da bin ich mir sicher.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2809588
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 09.01.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.