Süddeutsche Zeitung

Händel-Festspiele:Disco und Cembalo

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Ein altpersischer König wird zum Glitzer-Superstar: Die "Serse"-Inszenierung in Karlsruhe zeigt, wie viel Musical im Barock steckt.

Von Ekaterina Kel

Der Held des Abends heißt Serse. Er hat goldene Bling-Bling-Ringe an den Fingern, seine Haare sind nach hinten gegelt, die Porno-Sonnenbrille im Atze-Schröder-Look sitzt tief auf der Nase, ein Bild, das auf einer bühnengroßen Leinwand gleich zu Anfang den Ton der Inszenierung angibt. Und der Ton geht so: Barock ist nicht automatisch steife Anmut. Barock ist, wenn die Verzierung erst zum Sinn führt. Das beweist Max Emanuel Cencics Inszenierung von Georg Friedrich Händels Oper "Serse" bei den Internationalen Händel-Festspielen in Karlsruhe.

"Hey, man!"- die Inszenierung übersetzt alte in neue Chiffren, aber immer mit Mehrwert

Serse, eigentlich ein altpersischer König im fünften Jahrhundert vor Christus, der nach dem Libretto von 1738 Romilda, die Geliebte seines Bruders, um jeden Preis sein nennen will, ist nun, im Jahr 2019, weiter König, aber im übertragenen Sinne - er ist ein Superstar, ein Pop-Gigant. Regisseur Cencic macht aus ihm den US-amerikanischen Überfluss-Entertainer Liberace aus den Siebzigerjahren mit Glitzerkostüm und Federschmuck, zielgenau für sein Publikum, das den Ruhm des glamourösen Pianisten vermutlich noch gut in Erinnerung hat. Sein Reich ist die scheinheilige Showbusiness- und Gangster-Welt von Los Angeles, wo sich die Geschichte, wie Cencic sie erzählt, abspielt.

Eine tiefe Ansagerstimme aus den Lautsprechern begrüßt die Zuschauer zur "Serse-Show". Auf der Bühne tanzen Frauen in Glitzerröckchen, unten im Orchestergraben spielt das Ensemble der Deutschen Händel-Solisten, eigens für die Festspiele formiert, unter der Leitung von George Petrou die Ouvertüre zu Händels Oper, einfühlsam, präzise, mit historischen Instrumenten und viel Grazie. Oben Disco, unten Cembalo. Ein Kontrast, bei dem man entweder mit den Zähnen knirscht oder sich hellwach im Sessel aufrichtet. Aber diese Dissonanz erweist sich schnell als produktive Reibung mit dem Stoff.

Der Regiekniff ähnelt dem Wesen nach guter Übersetzungsarbeit. Cencic betrachtet die Vorlage - kurze Rezitative, schnelle Arienfolgen, eine zügig voranschreitende Handlung, und das alles mit komödiantischen Momenten angereichert - und schlussfolgert: Diese Oper will nicht schwer auf dem moralischen Gewissen der Zuschauer liegen, sie will unterhalten. Um die Verständnisschwelle zu senken, macht er aus Serses Heeresführer Ariodate einen Musikproduzenten. Wenn Ariodate also im Original ein Auge von Asien nach Europa wirft, um den nächsten Feldzug vorzubereiten, macht er es heute von den USA aus Richtung Europa, um den nächsten Absatzmarkt zu erobern. Und der Sonnentempel, in dem die Liebenden vermählt werden, wird zur Wedding Chapel, einem Instant-Gotteshaus, in dem man ohne Voranmeldung sofort heiraten kann. Auch Cencics Dramaturg kuscht nicht vor dem ehrwürdigen Händel und verwirft tradierte Übersetzungen, an die sich das Opernpublikum trotz des angestaubten Vokabulars gewöhnt hat. Stattdessen gibt es bei Boris Kehrmann "Alter" und "Hey, man!" Das führt dann mitunter zu sehr schrillen Kombinationen aus formvollendeten, grazilen Streicher-Tönen und einem "Boah was für eine Schlampe, ey was geht?" von Elviro, eigentlich Diener von Serses Bruder Arsamene, und hier einfach sein Kumpel.

Der Regisseur selbst singt den Arsamene; was ihm an Fülle fehlt, macht er durch sein Spiel wett

Das ist nicht einfach ein übergestülptes Regiekonzept. Cencic übersetzt alte in neue Chiffren, aber immer mit Mehrwert, weil der Zuschauer Hierarchien und Implikationen viel schneller versteht, um dann zum eigentlichen Ziel zu kommen, der Unterhaltung eben. Alle Nebenschauplätze und -figuren sind liebevoll und detailreich ausgearbeitet, sie fügen sich dabei stets in die Handlung, es gibt keine widerborstigen Momente, in denen Libretto oder Musik eigentlich etwas anderes erzählen wollen, während der Regisseur auf der Bühne einfach sein Ding durchdrückt. Die Motive und Handlungen der Charaktere sind angenehm transparent, sogar bei solch einer Intrigen- und Verwechslungsoper wie "Serse". Die Regie schafft es, der musikalischen Sprache ihren Raum zu lassen, die darin steckenden Pointen arbeitet Petrou treffsicher heraus, mit gelegentlichen Klangexplosionen bereichert der Händel-Festspielchor den Abend.

Franco Fagioli gestaltet einen dermaßen strahlenden Serse, dass er jeden Auftritt zu einem weiteren Höhepunkt des Abends macht. Die bekannte Arie, "Ombra mai fu", singt er als Pop-Schlager und begleitet sich selbst am Klavier. Der Countertenor setzt auf eine maximale Ausschmückung seiner Passagen, kokettiert mit jeder Koloratur, glänzt und genießt es. Dass er dabei so richtig in der Figur des maßlosen Liberace aufgehen kann, nützt seiner Stimme umso mehr. Daneben behauptet sich der Regisseur selbst, der in der eigenen Inszenierung den Arsamene singt, ebenfalls Countertenor, ebenfalls der höchsten Lagen und der dröhnendsten Lautstärken mächtig. Das, was ihm an Fülle fehlt, macht er durch sein Spiel wett.

Die Personenführung ist überhaupt in jeder Szene bis ins kleinste Kaugummikauen oder Socken-in-den-Schritt-Stecken ausgereift, alle Darsteller spielen mit viel Hingabe. Reizend launisch ist die Sopranistin Lauren Snouffer als Romilda, die einen passenden Hang zum Popgesang demonstriert. Katherine Manley wird zur sympathischen Antiheldin, der bollerig-trotzigen Schwester Atalanta. Die Musicalerfahrung der Sopranistin ist nicht zu überhören - in diesem Fall ein Glücksgriff. Ariana Lucas hat es als ausgenutzte Amastre hörbar schwer, zwischen den schillernden Sopranen und Mezzi ihren staatstragenden Alt spielerisch-lebendig zu gestalten.

In der modernen Maskierung kommt der Kern der Oper zutage: Eine überbordende Gefühlswelt im Rhythmus einer Schnulze, maßlose Selbstverliebtheit des Titelhelden, Gier und Eifersucht, Stolz und Täuschung, und über allem die Frage: Kann man der Liebe ihren vorgezeichneten Weg abschneiden? Können die Liebenden Arsamene und Romilda getrennt werden? Cencic spricht ein klares Nein und lässt Serse am Ende für den Versuch in Handschellen abführen. Sogar der Stern am Himmel muss fallen, wenn er sich an die Stelle der Götter drängt.

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Quelle:
SZ vom 22.02.2019
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