Süddeutsche Zeitung

Glaube:Der Herr Graf und seine Seelen

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In einem niederbayerischen Dorf bestimmt ein Adliger, wer in seiner Gemeinde Pfarrer wird - ein Anachronismus, von dem die katholische Kirche lernen kann.

Von Rudolf Neumaier

Wenn sich Joseph Graf von Deym einen neuen Pfarrer aussucht, stellt er Fragen. Ein paar Stunden kann ein solches Gespräch dauern. Er hat das von einem Onkel gelernt. Der bohrte bei seinen Pfarraspiranten mit theologischen Fragen so scharf nach, dass dann mancher seine Bewerbung zurückzog. Aber was soll man mit solchen Zauderern anfangen? Joseph von Deym will sich sicher sein, dass der Pfarrer zu seiner Pfarrei passt. Und zu ihm selbst. Er ist kein Kleriker. Aber wer in Arnstorf Pfarrer wird, das bestimmt zunächst immer noch er und dann erst der Bischof in Passau. Das hat er schwarz auf weiß. Aus Rom.

Seit Jahrzehnten wird in der katholischen Kirche um Mitsprache- und Mitwirkungsrechte für Laien gerungen. In der Schweiz können sie bestimmen, ob ein Geistlicher in ihren Gemeinden Pfarrer wird oder nicht. In Deutschland ist das undenkbar. Hier trauen manche Bischöfe Laien nicht einmal zu, die Pfarrkasse zu verwalten. Allerdings hat hier in manchen Gegenden, vor allem in südlichen, ein uraltes Modell die Zeiten überdauert, das kaum einer kennt: das Patronat. Hier bestimmt ein Laie, wer Pfarrer wird. Ein Laie wie Graf Deym in Arnstorf. Solche Atavismen sind den Kirchenfürsten natürlich ein Dorn im Auge.

Das Recht, den Pfarrer auszusuchen, stammt aus einer Zeit, in der in Siedlungen wie Arnstorf Ritter regierten. Die Kirche profitierte enorm von den wohlhabenden Adelsherren. Auf ihr Geld war sie angewiesen, als sie im tiefsten Mittelalter noch ziemlich mittellos und kaum organisiert war. Die Adelsherren errichteten Kirchengebäude und hielten sie instand, sie suchten aber auch das geistliche Personal aus. Die Rechte der Adelserben kann sie heute nicht einfach kassieren. Obwohl sie das sicher gern täte.

Warum traut die Kirche ihren Laien nicht mehr zu, einen geeigneten Priester zu wählen?

Für die Leute in Arnstorf, einem Dorf mit 6700 Einwohnern mitten in Niederbayern, ist Joseph von Deym "der Graf", wenn sie über ihn reden. Und wenn sie mit ihm reden, ist er der "Herr Graf". Respekt schwingt im Unterton mit, und im katholischen Rottal klingt dieser Respekt fast so aufrichtig wie ein "Ave Maria". Etwa 5800 Frauen, Männer und Kinder, nach katholischer Rechnung also etwa 5800 Seelen, sind in Arnstorf und den umliegenden Dörfern katholisch. Weit mehr als 80 Prozent. Zum Vergleich: In ganz Bayern sind es noch knapp mehr als 50 Prozent, in Deutschland weniger als ein Drittel.

Keine Frage, Arnstorf ist genau das richtige Biotop für das, was der 76 Jahre alte Joseph Graf von Deym und seine Ahnen seit Jahrhunderten verkörpern. Warum sollte der Patronatsherr als guter Katholik diese Verantwortung für die Pfarrei abgeben.

Patronatsherr? Um auf solche Anachronismen zu stoßen, lohnt es sich immer wieder, in katholischen Amtsblättern zu schmökern. So knorrig manche Verlautbarungen klingen, sie bergen Geschichten, die aus der Zeit gefallen zu sein scheinen. Wie vor Urzeiten werden Ablässe von Sündenstrafen angekündigt und Messweinverordnungen erlassen, wonach Weinlieferanten keiner kirchlichen Approbation mehr bedürfen. Und dann gibt es die Personalnachrichten: "Unter Berücksichtigung des Einverständnisses des Patronatsherrn der Pfarrei Arnstorf, Joseph Graf von Deym", werde in Arnstorf Bernhard Saliter als Pfarrer installiert, heißt es in einem Amtsblatt des Bistums Passau aus dem Jahr 2014.

Im Bistum Augsburg gibt es bis heute 22 private und 35 kommunale Patronate

Inzwischen hat die Kirche dieses alte Patronatsrecht so weit wie möglich zurückgedrängt, weil Laien dem Klerus gefälligst folgen sollen und nicht über ihn bestimmen. Traut die Kirche ihren Gläubigen nicht mehr zu, einen guten von einem schlechten, einen überzeugenden von einem bornierten Seelsorger zu unterscheiden, wo sie es ihnen doch über Jahrhunderte hinweg zugestand? Wovor hat sie Angst?

Joseph Graf Deym ist ein katholischer Laie, wie sich die Kirche kaum einen besseren wünschen kann - allenfalls abgesehen davon, dass er geschieden und wieder verheiratet ist. Obwohl er inzwischen auf eine Gehhilfe angewiesen ist, besuche er aus tiefster Überzeugung Sonntag für Sonntag den Gottesdienst in der Pfarrkirche, sagt er. Selbstverständlich! Er nimmt in der vordersten linken Kirchenbank Platz. Ein früherer Pfarrer wollte ihn ins Chorgestühl im Altarraum verpflanzen - er habe aber mit Nachdruck abgelehnt, sagt der Graf. "Ich will keine Erhöhung." Aber so etwas wie ein Oberlaie ist er trotzdem, und er sieht sich auch als Vorbild für das Kirchenvolk: "Es spielt eine Rolle, ob man sitzt, steht oder kniet in der Messe. Das vorzumachen, die anderen mitzureißen, das habe ich immer für wichtig gehalten."

Doch plötzlich machten sie ihm sein Patronat streitig. Das Bistum Passau berief sich auf eine päpstliche Anordnung, ein sogenanntes Motu Proprio, als es im Jahr 1984 Deyms Präsentationsrecht, also das Privileg den Pfarrer auszuwählen, für erloschen erklärte. Der Arnstorfer Investiturstreit war eröffnet.

Es ging ein paar Jahre hin und her zwischen Passau, Arnstorf und Rom. Doch der Graf aus Niederbayern hatte einen Trumpf in der Hand: einen Erlass des Papstes Calixtus III. vom 17. Mai 1455, wonach "dieses Patronat und seine Ausübung von niemandem angetastet werden" dürfe. Schließlich bestätigte sogar Papst Leo X. diese Entscheidung kraft einer Bulle vom 9. Februar 1518. Darin untersagte er dem Passauer Bischof, das Arnstorfer Patronatsrecht "zu behindern und zu stören".

Graf Deyms Klage gegen die Diözese landete erst bei der Kleruskongregation. Sie bestätigte die Entscheidung des Bischofs, der das Arnstorfer Patronat flugs kassiert hätte. Doch der Adelige aus Niederbayern ließ sich nicht abservieren, seine Beschwerde wanderte durch die Instanzen und im Jahr 1990 zum Obersten Gerichtshof der Apostolischen Signatur. In seinem Endurteil gab das fünfköpfige Richtergremium aus Kardinälen dem Arntsorfer Grafen recht und nicht dem Passauer Bischof. Allerdings rieten die "Horchwürdigsten Herren und Eminenzen" beiden Parteien, in Verhandlungen über "die zu erfüllenden Pflichten aus dem Patronat und die Beendigung vornehmlich des Präsentationsprivilegs" zu treten.

Patronate wie das des Grafen Deym sind selten geworden. Erst im vergangenen Jahr wurde in Seßlach im Erzbistum Bamberg wieder eines faktisch aufgehoben. Von einem "symbolischen Patronat" der Grafenfamilie Ortenburg spricht die Kirche heute, nachdem sie ein Waldgrundstück gegen das Pfarrhaus eingetauscht hat. Den Pfarrer dürfen die Ortenburger nun nicht mehr präsentieren. Sogar die Münchner Ludwig-Maximilians-Universität verfügte über Patronate. Zum Beispiel präsentierte ihr Rektor Pfarrer.

Etwas ausgeprägter ist das Patronatswesen noch im Bistum Augsburg, wo 22 private und 35 kommunale Patronate bestehen, nach denen Stadt- und Gemeinderäte dem Bischof einen Pfarrer ihrer Wahl vorstellen. Um eine "behutsame Bereinigung dieses Rechtsinstituts wird die Bischöfliche Finanzkammer Augsburg nach wie vor besorgt sein", teilt ein Bistumssprecher mit.

Anders als im hohen Mittelalter bekommt die Kirche heute Steuern, auf reiche Ritter als Finanziers ist sie nicht mehr angewiesen. Patronate seien ihr heute "grundsätzlich ein Dorn im Auge", sagt Matthias Ambros. Der junge Priester hat gerade an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom seine Doktorarbeit verteidigt. Thema: das Patronat am Beispiel Arnstorf. In Österreich sei das Modell noch wesentlich weiter verbreitet, denn der Habsburger-Kaiser Josef II. nahm der Kirche Ende des 18. Jahrhunderts Rechte, wo er ihr Rechte nehmen konnte.

Deutscher oder Inder? Egal, sagt der Patronatsherr. Hauptsache ein Schamane

In Arnstorf wird die Grafen-Familie ihr Privileg vorerst behalten. "Wir haben gutes Einvernehmen mit dem Herrn Grafen", sagt der Generalvikar, der in der Bistumsleitung für solche Angelegenheiten zuständig ist. Er sieht's positiv: "Wäre er ein säkularer Graf, dann hätte er kein Interesse daran. Aber er und sein Sohn sind überzeugte Katholiken, deswegen funktioniert das."

Joseph von Deym wird weiterhin den Baumschmuck für die Prozessionen und den weihnachtlichen Altar stellen, und wenn für die Pfarrkirche eine Baumaßnahme ansteht, wird er ein paar Euro lockermachen wie die Ahnen der Familie schon im 12. Jahrhundert. Sollte sich irgendwann kein bayerischer Priester mehr bewerben, werde er sich einen afrikanischen oder einen indischen aussuchen. "Ich will einen Schamanen", sagt der Graf, "einen katholischen Schamanen." Die Sprache spiele keine Rolle, wenn das Charisma passt.

Demnach ist auch Bernhard Saliter ein Schamane. Der Arnstorfer Pfarrer selbst sagt, er erinnere sich gut an das Bewerbungsgespräch. Deym habe viel gefragt, obwohl er den Bewerber aus dessen Zeit als Praktikanten kannte. Und dann präsentierte er ihn dem Bischof - und nicht etwa umgekehrt, wie es das Amtsblatt des Bistums darstellt.

Zwei Arnstorfer Pfarrer wurden in den letzten drei Jahrzehnten ins Passauer Domkapitel befördert. Arnstorf, ein Kleriker-Sprungbrett. Man kann es aber auch so sehen: Der Graf hat offenbar ein gutes Gespür für kompetente Geistliche. Wenn das nicht eindeutig für mehr Mitbestimmung von Laien spricht!

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SZ vom 19.06.2015
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