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Generation Wankelmut: Junge Leser:Schock deine Kinder, lies ein Buch

Lesezeit: 4 min

Gibt es etwas Peinlicheres, als die eigene Mutter beim Bravo-Lesen zu erwischen? Warum Jugendmagazine existenziell bedroht sind und ihnen neben Lesern auch die Stars abhanden kommen.

Viola Schenz

Wie man Kinder erfolgreich lockt, wissen die von McDonald's seit einer halben Ewigkeit. Happy Meals machen deswegen happy, weil sie auch aus Plüschhunden und Plastikhelden bestehen. Zeitschriftenverleger haben den Trick in den vergangenen Jahren abgeschaut und kleben eingeschweißtes Billigspielzeug ("Gimmicks") auf ihre Hefte - wie es das Comic-Heft Yps in den Siebzigern mit seinen Bastelbögen tat. Das rot-blaue Stethoskop oder die Halloween-Maske sind ein Grund, warum Benjamin Blümchen oder Sponge Bob zulegen.

Ein Plus von sieben Prozent konnte die Auflagenkontrolle IVW für das dritte Quartal 2007 bei Kindermagazinen verzeichnen: beim Schlumpf-Magazin, zum Beispiel, wuchs die Auflage um ein Drittel, bei Sponge Bob Schwammkopf um 40 Prozent, beim Klassiker Benjamin Blümchen um phänomenale 102,7 Prozent. Es gibt also Hoffnung: Deutschlands Kinder sind mitnichten nur Fernsehen, Internet, PC-Spielen und Klingeltönen verfallen, 68 Prozent tragen laut Kids Verbraucheranalyse (VA) des Münchner Jugendforschungsinstituts Iconkids & Youth Teile ihres Taschengelds brav zum Zeitungskiosk (2006: 64 Prozent).

Allerdings machen sie das nur bis zu einem gewissen Alter. Was Jugendmagazine angeht, kehrt sich der Trend um: Hier kriseln die Auflagen seit Jahren, im vergangenen Quartal waren sie um 8,8 Prozent rückläufig gegenüber Herbst 2006: Yam! oder Popcorn ("Jimi Blue - so erlebt er seine erste Liebe") brachen um mehr als ein Viertel ein, Hey! ("18 coole Poster", "Gefühle: Wenn Eifersucht zur Hölle wird!") um fast ein Drittel, Sugar ("4 süße Make-ups fürs erste Date") um fast die Hälfte, Platzhirsch Bravo ("6 tolle Bügel-Bilder") fiel um 13 Prozent zurück.

So unübersichtlich wie Teenager-Launen

Warum werden aus kleinen Leseratten pubertierende Magazinmuffel? "Kinder lesen einfach noch, die lassen sich nicht so stark ablenken von anderen Interessen und anderen Medien wie Jugendliche", sagt Ingo Höhn, Geschäftsleiter beim führenden Kindermagazinverlag Egmont Ehapa ( Micky Maus, Löwenzahn, Witch, Wendy, Barbie, Winnie Puuh, Prinzessin, Bibi Blocksberg). Und: Kindermagazine profitieren erfolgreich vom Merchandising. "Sobald sich eine Figur auf dem Spielzeugmarkt durchsetzt, folgt eine Zeitschrift." Die Gimmicks "maximieren" den Verkauf, so Höhn.

Und dann ist da natürlich der Geburtshelfer Fernsehen. Ein Drittel der Sechs- bis 13-Jährigen hat laut Kids VA einen Fernseher im Kinderzimmer stehen - welcher Verleger würde sich einen solchen crossmedialen Effekt entgehen lassen? "Neue Themen aus dem Fernsehen werden sofort adaptiert, mit Figuren, an die Kinder für eine gewisse Zeit gut andocken können", sagt Axel Dammler, Geschäftsführer von Iconkids & Youth.

Typischer Fall: Prinzessin Lillifee. Das Heft Willi will's wissen entstand auf ähnliche Weise, nächstes Jahr soll Panini Lazy Town erscheinen, ein Magazin zur gleichnamigen Super-RTL-Serie.

Warum funktioniert das nicht bei den Jugendmagazinen? "Bei Kinderheften lebt man vom kurzfristigen Vertrieb", erklärt Höhn, "beim Jugendmarkt dagegen von Anzeigen, das erfordert ein langfristiges Geschäftsmodell, und das ist immer schwieriger." Dazu kommt: Der Markt der Jugendzeitschriften ist so unübersichtlich, wie es die Launen der Teenager sind.

Es gibt die klassischen Star-Magazine mit Aufklärungsanhang ( Bravo, Popcorn), Szenemagazine ( Juice, Backspin), Fanmagazine ( GZSZ-Magazin), gehobene Schülerzeitungen ( Spiesser, Yaez), Bildungsbürgerkinderorgane ( Geolino, Willi will's wissen, National Geographic World) und die kostenlosen Heftchen von Kirchen, Gewerkschaften oder Gemeinden mit erkennbarem Teenieverbesserungsauftrag. Wohl kaum ein Zeitschriftensegment ist so anfällig, was die wechselnden Vorlieben und Moden ihrer Leserschaft angeht, kaum eine Zielgruppe ist so unbeständig wie der Nachwuchs.

Eine Achtjährige findet rosa Rüschchen heute noch supersüß und morgen schon superpeinlich. Schon hat Barbie eine Leserin verloren, und Wendy vielleicht eine dazugewonnen. "Früher blieben die Kinder schon mal drei bis fünf Jahre dabei, heute dauert eine Phase zwei Jahre", sagt Axel Dammler.

Das Magazinhopping hat allerdings Vorteile für die Magazinmacher: Wenn es ständig andere Leser gibt, kann man die alten Themen ständig neu aufbereiten, merkt ja sowieso niemand - außer den älteren Geschwistern vielleicht. Also wundert es kaum, wenn Popcorn zum 287. Mal fragt: Wie weit darf man beim Petting gehen? Diese "Wir machen alles wie immer"-Haltung kann den Redakteuren aber zum Verhängnis werden.

Es fehlt an Stars

Den klassischen Heften mangele es an Profil, findet die Jugendforscherin Ruth Lintemeier, deswegen fänden sie kaum noch Absatz. Stimmt: Bravo & Co. wollen alles gleichzeitig sein: Star-, Mode-, Beauty- und Lebenshilfemagazin. So was gilt aber inzwischen als Mainstream, das liest jeder, das ist uncool. "Da gibt es genügend Online-Portale, die diese Bedürfnisse bedienen", sagt Lintemeier. Aber es ist nicht nur das Internet, das den Jugendmagazinen die Leser weglockt, es fehlt an Stars.

In den Sechzigern und Siebzigern lebte Bravo jahrelang von den Beatles oder den Stones. Heutige Retortenbands haben eine zu kurze Halbwertszeit, als dass man publizistisch auf sie setzen könnte. Die letzte große Ausnahme war Tokio Hotel. Von der Magdeburger Boy Group zehrten Bravo, Popcorn, Hey! monatelang.

Und: Die Inhalte von Lifestyle-Blättern ähneln sich immer mehr, egal wie alt die Leser sind. Klatsch über Britney Spears bringt nicht nur Bravo, sondern auch Glamour ein paar Regalzentimeter weiter. Das ist wie mit den 40-jährigen Müttern, die sich wie ihre 14-jährigen Töchter kleiden und ebenfalls Johnny Depp verehren. Aber wenn Teenager etwas haben wollen, dann sicherlich nicht denselben Geschmack wie ihre Eltern, und auch nicht dieselbe Lektüre.

Heimelige Aura der Exklusivität

Teenager sind hormonbedingt auf der Suche nach Neuem: neuem Image, neuen Marken, neuen Kicks. Da hilft nur abtauchen in den Untergrund, zum special interest, zu Sprayer- oder Skateboardmagazinen, die kaum einer kennt, die aber eine treue Fangemeinde besitzen und die heimelige Aura der Exklusivität. "Die haben zwar noch kleine Auflagen, aber die sind im Kommen", meint Lintemeier.

Das glaubt Dammler nicht: "Es gibt nur wenige Spartenthemen, die so relevant sind, dass sie sich auf Dauer im Markt halten können." Die Kinderzeitschrift Witch zeigt, dass es funktionieren kann. Sie druckt alles andere als Qualität, aber sie holt kleine Mädchen erfolgreich ab bei mystischen Mächten, weiblichen Magiern und freundlichen Hexen, baut auf den aktuellen Trend um Astrologie, Wunder und Aberglauben. Wenn sich Erwachsene um ihre Rationalität bringen lassen, warum sollte das nicht auch bei Kindern klappen. Witch - die aktuelle Ausgabe mit eingeschweißter Pendelkette und magischer Glaskugel - hat gerade um 18 Prozent zugelegt und eine Auflage von 108 000 Stück.

Haben also doch nur Randthemen eine Zukunft? "Die etablierten Titel bleiben, neue werden sich Nischen suchen müssen", meint Höhn. Jugendforscher Dammler ist zuversichtlicher: "Jugendzeitschriften werden niemals verschwinden, denn sie haben einen klaren Auftrag, sind eine Schule fürs Leben. Sie erklären, wie der Körper funktioniert, wie ich mich verhalten, schminken, stylen muss."

Es besteht noch von anderer Seite Hoffnung: Laut Kids VA lesen mehr als die Hälfte der Eltern die Jugendzeitschriften mit. Gibt es etwas Peinlicheres, als die eigene Mutter beim Bravo-Lesen zu erwischen? Da kann man nur noch auswandern ins World Wide Web.

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Quelle:
SZ vom 6.11.2007
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