Geheimdienste:Nebenbundesamt für politisch Belastete
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Zwei Historiker beleuchten die braunen Wurzeln des Verfassungsschutzes.
Von Tanjev Schultz
Erich Wenger galt als Raubein. Im Bundesamt für Verfassungsschutz war er berüchtigt für sein autoritäres Gehabe. "Der Wenger hat die Stiefel noch nicht ausgezogen", hieß es. Das war Mitte der 1960er-Jahre, als bei den deutschen Geheimdiensten noch Altnazis und ehemalige Wehrmacht-Soldaten arbeiteten. Erich Wenger war bei der "Zentrale zur Bekämpfung von Passfälschungen und Sabotage" gewesen, die dem Reichssicherheitshauptamt angegliedert war. Später leitete er die Passierscheinstelle der deutschen Botschaft in Paris, 1943 beförderte man ihn zum SS-Hauptsturmführer. Nach dem Krieg schlug er sich als Kraftfahrer und Versicherungsvertreter durch, bis er etwas Passendes fand: beim Verfassungsschutz, Abteilung Spionageabwehr.
Eigentlich wollten die Alliierten verhindern, dass die neu aufgebauten BRD-Geheimdienste politisch belastete Agenten anheuerten. Doch wie die Bochumer Historiker Constantin Goschler und Michael Wala in einer akribischen Studie nachweisen, gab es Wege, diese Vorgabe zu umgehen. Und im Kalten Krieg sahen die Amerikaner bald ohnehin nicht mehr so genau hin, wer da welchen Posten übernahm.
Im Fall Wenger versicherte die CIA, sie wüsste zwar über die Vergangenheit des Deutschen Bescheid, entscheidend sei aber dessen Kompetenz. Das war im Jahr 1963. Wie andere ehemalige Gestapo-Männer war Wenger zu dem Zeitpunkt längst regulär als Regierungsrat beim Bundesamt beschäftigt. Anfangs hatte er nur als "freier Mitarbeiter" firmiert. Unter diesem Etikett liefen in den 1950er-Jahren nicht zuletzt solche Agenten, die wegen ihres Vorlebens nicht auffallen sollten. "Paradoxerweise", schreiben die Buchautoren, "führte gerade die engmaschige Kontrolle der Alliierten schließlich dazu, dass ein zweigeteiltes Bundesamt entstand: eine offizielle Behörde, in der politisch Belastete zunächst keine Anstellung fanden, und eine Art Nebenbundesamt, in dem ehemalige Mitglieder von Gestapo, SS und dem SD sowie der Abwehr unterkamen."
Das Buch zeichnet die ersten 25 Jahre des Bundesamts nach, das Innenministerium hatte eine Untersuchung angefordert. Goschler und Wala haben Akten aus den Archiven des Verfassungsschutzes und weiterer Behörden ausgewertet. In den vergangenen Jahren waren von Wissenschaftlern bereits die braunen Wurzeln des BKA und des BND freigelegt worden. Nun ist der Inlandsgeheimdienst an der Reihe.
Die Siegermächte wollten eine neue Gestapo verhindern, der Verfassungsschutz sollte keine Geheimpolizei werden. Deshalb bekam er keine exekutiven Befugnisse, er darf niemanden festnehmen. Bis heute gilt in Deutschland das "Trennungsgebot" zwischen polizeilicher und nachrichtendienstlicher Tätigkeit. Vor allem die Franzosen achteten zudem auf eine föderale Organisation des Verfassungsschutzes. Das Bundesamt sollte bundesweit koordinieren, den Landesbehörden aber nicht hineinregieren. Heute sehen Kritiker darin eine Schwäche (weshalb jüngst eine Gesetzesnovelle die Stellung des Bundesamts ein wenig gestärkt hat). Aber diese Schwäche war historisch bedingt und gewollt.
Als Staatssekretär Hans von Lex 1950 den Gesetzentwurf über die Gründung des Bundesamts im Parlament vorstellte, betonte er die Bedeutung einer guten Personalauswahl: Die Stellen beim Inlandsgeheimdienst müssten mit "demokratisch unbedingt zuverlässigen und fachlich hochwertigen Kräften" besetzt werden. Der erste Präsident wurde Otto John, ein ehemaliger Widerstandskämpfer.
Goschler und Wala arbeiten die Tragik heraus, die mit dieser Auswahl verbunden war. John hätte für einen echten Neuanfang stehen können. Er war jedoch ein überforderter Präsident, der von der Agententätigkeit wenig verstand und auch nicht verhinderte, dass alte Nazis anheuern konnten. Ende 1951 waren fast 15 Prozent der Belegschaft im Bundesamt ehemalige Mitglieder der NSDAP oder ihrer Gliederungen, 1954 waren es etwa 30 Prozent.
John schockte die Öffentlichkeit und seine Mitarbeiter, als er 1954 in der DDR auftauchte und von dort eine Erklärung verlas: Deutschland sei in Gefahr, "durch die Auseinandersetzung des Kalten Krieges auf ewig zerrissen zu werden". Er wolle auch gegen den zunehmenden Einfluss ehemaliger Nationalsozialisten in Westdeutschland protestieren. Später, nach Rückkehr in die BRD, verurteilte ihn der Bundesgerichtshof wegen Landesverrats zu vier Jahren Zuchthaus.
Die beiden Historiker erzählen diese und andere Affären spannend, aber sachlich. Ihr Buch geht weit über die Kernfrage hinaus, welche und wie viele Altnazis beim Verfassungsschutz unterkamen. Es zeigt, wie der Verfassungsschutz mit anderen Diensten konkurrierte und die Zusammenarbeit mit den Landesämtern nur schlecht funktionierte. Und es berichtet, wie die Amerikaner, aber auch die "Organisation Gehlen" (der Vorläufer des BND) das Bundesamt ausspionierten - und im Ränkespiel der Behörden auch Journalisten mitmischten, die sich wohl nicht immer darüber im Klaren waren, dass und wie Agenten versuchten, sie zu instrumentalisieren.
Im Ränkespiel der Behörden mischten in den frühen Jahren auch Journalisten mit
Nicht zuletzt einigen Medienberichten der 1950er- und 1960er-Jahre ist es allerdings zu verdanken, dass die NS-Vergangenheit von Verfassungsschützern doch noch zum Politikum wurde. Einige Agenten wurden deshalb zu Beginn der 1960er- Jahre in andere Behörden versetzt, in die Bundesanstalt für Landeskunde und Raumordnung oder das Bundesverwaltungsamt. So auch Erich Wenger, der dort Kriegsgräber verwalten sollte.
Insgesamt wurden 16 Mitarbeiter des Bundesamts wegen ihrer Dienste für die Nationalsozialisten und deren Sicherheitsapparat als problematisch angesehen. Daneben gab es die einfachen Parteimitglieder, die nicht nur beim Bundesamt ungehindert Karriere machen konnten. Goschler und Wala erinnern daran, dass zu Beginn der 1960er-Jahre in den Parlamenten etwa ein Drittel der Abgeordneten ehemalige NSDAP-Mitglieder waren. Andere Sicherheitsbehörden entwickelten sich zudem noch viel stärker als der Verfassungsschutz zum Auffangbecken für Altnazis: Beim BKA waren Ende der 1950er-Jahre etwa siebzig Prozent der führenden Mitarbeiter ehemalige SS-Leute.
Goschler und Wala haben eine gelungene Organisationsgeschichte vorgelegt. Etwas zu kurz kommt darin allenfalls die Frage, welche Auswirkungen die Personalstruktur auf die Mentalität im Amt und auf die operative Praxis hatte. Die Autoren stellen zwar fest, dass der Verfassungsschutz in den ersten Jahren dem Rechtsradikalismus wenig Bedeutung beimaß und seine Arbeit auf die Spionageabwehr und den Kampf gegen echte oder vermeintliche Kommunisten konzentrierte. Sie zeigen auch, dass die Beamten mitunter dubiose Methoden einsetzten und sich, wenn es ihnen passte, über das Trennungsgebot hinwegsetzten. Wie dies aber mit der NS-Vergangenheit von Mitarbeitern zusammenhing oder ob es eher Strukturprobleme eines jeden Geheimdiensts widerspiegelte, hätte genauer analysiert werden können.
Freilich ist es nicht leicht, die Mentalität, die im Bundesamt herrschte, nach all den Jahren zu rekonstruieren. Die Akten verraten ja nicht alles. Wer dieses Buch liest, erkennt gleichwohl, wie die Geschichte des Verfassungsschutzes in die Gegenwart hineinragt. Ob die Rolle von V-Leuten oder das heikle Verhältnis von Bundesamt und Landesämtern: Vieles, was heute diskutiert wird, hat eine - oft hässliche - Vorgeschichte.