Süddeutsche Zeitung

Fotografien zu 9/11:Flugzeug ins Auge

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Unsere Bilderwelt ist eine andere geworden. Zehn Jahre nach dem 11. September widmen sich gleich zwei Berliner Galerien diesem Thema. Das "C/O Berlin" und die "Kunst-Werke" zeigen verstörende und provozierende Fotos von George W. Bush bis hin zu falschen Zebras im Gaza-Streifen.

Catrin Lorch

Ungerührt steht das Empire State Building in der Skyline, während im Hintergrund eine schwarze Rauchwolke den einsamen Zwilling der ehemaligen Twin Towers kurz vor dem Zusammenbruch umhüllt.

"Sender", ein fast drei Meter hohes Bild von Thomas Ruff, bleibt distanziert - wie auch die jungen Leute, die sich in Brooklyn in die Sonne gesetzt haben, um das Schauspiel zu verfolgen, zu sehen auf einem Magnum-Bild zum Thema Nine Eleven von Thomas Hoepker, das vielfach gedruckt, gesendet, vervielfältigt wurde. Zwei Ausstellungen in Berlin eröffnen an diesem Wochenende mit Bildern vom Terror. "Unheimlich vertraut" im C/O Berlin stellt 200 Arbeiten aus dem Archiv des Spiegel den Werken von dreißig Künstlern gegenüber.

Die Schau "Seeing is believing" in den Kunstwerken sucht statt solch breiter Panoramen die Nahsicht. Sie beginnt mit zwei Ready-mades der Imagepolitik: Zu sehen sind das Foto, das Barack Obama und Hillary Clinton zeigt, wie sie die Exekution Osama bin Ladens live verfolgen und die Aufnahmen von George W. Bush, der im Fernsehen im Jahr 2003 versehentlich schon mehrere Minuten lang zu sehen war, bevor er den Beginn des Irak-Krieges verkündete - und noch mit dem Kameramann scherzte. Gianni Mottis Monitor führt dies als endlosen Loop vor, Alfredo Jaar zeigt das fast aktuelle Foto Obamas auf einem Flachbildschirm. Es braucht nicht mehr, um den Aberwitz solcher Inszenierungen offenzulegen, es genügt, sie aus dem Ablauf der Nachrichtenmaschinerie zu schälen.

Die Amerikanerin Taryn Simon fand ebenfalls Ready-mades aus einer neuen Wirklichkeit, als sie im November 2009 am Kennedy-Airport in New York beschlagnahmte Güter fotografierte. Die meisten der mehr als tausend Stillleben zeigen nicht Waffen oder Drogen, sondern Fleisch in Alufolie, Tablettenpackungen, verschmutzte Glasflaschen, vertrocknete Blätter in Plastikfolie, Geweihe. Die Arbeit schließt fast unmittelbar an die Kleinskulpturen des Iraners Abbas Akhavan an, der zwei Vitrinen mit Plastikbechern, Stiften, Kleiderbügeln, Alltagskram bestückt hat. Doch ist der Stiel des zinkenlosen Kamms messerscharf, an der Zahnbürste klebt eine Rasierklinge. Man begreift: Mit einer Socke, die vom Seifenklotz beschwert ist, kann man genauso zuschlagen wie mit der knüppelhart verfalteten Tageszeitung. Wer lange genug über Löffel und Kleiderbügel nachdenkt, erkennt irgendwann in jedem harmlosen Ding das Potential als Tatwaffe.

Camouflage im Krisengebiet kann auch bedeuten, dass ein palästinensischer Zoodirektor Esel einfärbt, weil es zu aufwendig und zu teuer wäre, echte Zebras durch die Tunnel in die abgesperrte Zone zu schmuggeln. Khaled Hourani hat die Tiere als Postkartenmotiv verewigt - fotografieren konnte er allerdings nicht selbst, er lebt in Ramallah und darf nicht nach Gaza reisen. Wie auch Taysir Barniji, der nach Paris gezogen ist. Ein Freund nahm für ihn israelische Wachtürme auf (was streng verboten ist). Nun sind die teils verwackelten und unscharfen Schwarzweißaufnahmen so elegant gehängt wie die Serien von Bernd und Hilla Becher, die einst die Denkmalwürdigkeit deutscher Industrieanlagen dokumentierten. Das wirkt, als würde diese Generation von Künstlern die Werkzeuge ihrer westlichen Kollegen in die Hand nehmen - um dort, wo Historie geschieht, ihre eigenen Geschichten zurechtzuhämmern, still und persönlich.

39 Minuten können sehr lang sein. Doch nicht die Grausamkeit des Krieges ist hier unerträglich, obwohl Nadim Asfar während des israelischen Bombardements in Südlibanon filmte. Aber der Angriff hatte ihn und seine Nachbarn eingesperrt, niemand durfte das Haus verlassen. So gleitet die Kamera immer wieder über Lautsprecher, Zimmerpflanzen, eine Landkarte, die Gardine, als trete sie in der Zelle auf der Stelle - unterdessen gelingen Asfar Bilder, die in ihrer Schönheit fast an Giorgio Morandis malerische Etüden vor den Vasen in seinem Elternhaus erinnern.

Es erdet die Ausstellung, dass sie schließlich auch den mächtigen "Phantom Truck" auffährt. Die Skulptur von Inigo Manglano-Ovalle war schon auf der Documenta 12 in Kassel einer der herausragenden Beiträge - hier wird der zehn Meter lange, vier Meter breite Truck nun in fast vollkommener Dunkelheit ausgestellt. Nur langsam tauchen die Umrisse eines maßstabsgetreuen, lebensgroßen Modells auf, das die schemenhaften Satellitenfotos in die Wirklichkeit übersetzt, mit denen Colin Powell im Jahr 2003 den UN-Sicherheitsrat von der Existenz irakischer Massenvernichtungswaffen überzeugen wollte.

Hier ist zu fühlen, was man schon so lange ahnte: Dass sich Tod und Vernichtung nicht glätten lassen, nicht im Bild, nicht in der Simulation. Dass die Lüge beginnt, wo sie keinen Körper hat und auf Anonymität beharrt. Der Sound dazu ist dieses böse Zirpen, das man noch aus dem Flur im Ohr hat, das Summen einer Drohne, das Zeyad Dajani als Pfeifen und eindringliches Brummen nachahmt. Die Zeit ist jetzt, zehn Jahre nach Nine Eleven, nicht nur reif für solche Kompositionen - sie braucht sie, dringend.

"The Uncanny Familiar. Images of Terror" im C/O Berlin bis zum 4. Dezember. Info: www.co-berlin.com. "Seeing is believing" in den Berliner Kunstwerken bis zum 13. November. Info: www.kw-berlin.de.

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Quelle:
SZ vom 09.09.2011
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