Süddeutsche Zeitung

Fotografie:Zeit kennt keine Grenzen

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Aus Münchens Galerien: Auf recht unterschiedliche, dennoch gleichermaßen spannende Weise setzen sich drei Fotografen verschiedener Provenienz mit der Überlistung von Vergangenheit und Zukunft auseinander

Von Jürgen Moises

Lässt sich die Vergangenheit fotografieren? Laut Roland Barthes ist das insofern keine Frage, als sich im Medium Fotografie Gegenwart und Vergangenheit eh permanent vermischen. Denn sobald man etwas fotografiert hat, ist es unweigerlich in die Vergangenheit gerückt. Wie ist es aber, wenn das, was man im Hier und Jetzt fotografieren will, tatsächlich schon Jahrzehnte her ist? Der ukrainische Fotograf Boris Mikhailov, der in den Neunzigerjahren mit Serien wie "By the Ground" und "Case History" bekannt und in diesem Jahr mit dem renommierten Kaiserring der Stadt Goslar geehrt wurde, hat sich bei seiner Serie "When my Mama was young" genau das gefragt. Ganz konkret ging es ihm darum: Wie kann ich die sowjetische Gesellschaft der Fünfzigerjahre fotografieren? Eine Zeit, die laut Mikhailov nur "wenige Fotos hinterlassen" hat.

Das Ergebnis von Mikhailovs Überlegungen ist derzeit in der Galerie Barbara Gross ausgestellt, zusammen mit weiteren Arbeiten des Künstlers. Für "When my Mama was young" hat er 2012 und 2013 Menschen von heute in Kostüme aus der Breschnew-Zeit gesteckt und, das ist der eigentliche "Clou": sie vor weißen oder schwarzen Quadraten fotografiert, die von Helfern hinter deren Köpfe gehalten werden. Durch diese künstlichen, "neutralen", ein bisschen auch an die russische Ikonen-Malerei erinnernden Rahmen wirken ihre Gesichter auf seltsame Weise aus der Zeit gerückt. Das ist natürlich keine echte Zeitreise und hochgradig inszeniert. Aber gerade die ausgestellte Inszeniertheit dieser Bilder bringt einen dazu, dass man über Gegenwart und Vergangenheit und deren mediale Darstellung reflektiert. Und das ist weit mehr als viele pseudo-historische Kostümfilme erreichen.

Als Auseinandersetzung mit dem fotografischen Porträt und dessen Konstruiertheit kann man auch Mikhailovs "German" und "Jewish Portraits" verstehen. Die Serie "German Portraits" aus dem Jahr 2008 besteht aus Bildern von Laiendarstellern, deren strenge Profilansichten an Renaissanceporträts erinnern, aber auch an "wissenschaftliche" Darstellungen der Physiognomik. Auf den "Jewish Portraits" aus dem Jahr 2015 wiederum sieht man männliche Besucher einer Synagoge in Kiew. Vor einem schwarzen Vorhang fotografiert, wirken sie, ähnlich den Figuren der "When my Mama was young"-Serie, aus der Zeit gehoben, ihre Frisuren, bestimmte Kleidungsstücke oder Accessoires weisen sie aber gleichzeitig als Zeitgenossen aus.

Boris Mikhailov: "Profiles and . . ." bis 8. Januar, Barbara Gross Galerie, Theresienstr. 56

Zeitlose Porträts der eigenen Zeitgenossen, die hat auch Chris Killip geschaffen. Eine Auswahl seiner Fotografien aus den Siebzigern und Achtzigern ist in der Galerie f5,6 zu sehen. "Mrs. Pitt", "Mr. Radcliffe" und "Mr. Johnny More" heißen die Protagonisten auf den intimen Schwarz-Weiß-Porträts des auf der Isle of Man geborenen Fotografen. Andere bleiben namenlos, darunter eine Gruppe von Punks und ein paar ältere Damen, die auf der Straße das silberne Jubiläum der Queen feiern. Landschaftsaufnahmen und Straßenszenen sind ebenfalls zu sehen. Die Intimität der Bilder des Preisträgers des "Henri Cartier-Bresson"-Awards sind Ausdruck ihrer Qualität, aber auch Zeichen echter Nähe. Denn für die meisten seiner frühen, auf der Isle of Man, in England oder Irland entstandenen Serien hat Killip Protagonisten aus der eigenen Lebenswelt fotografiert.

Interessanterweise ist Chris Killip eine vergleichbar eindringliche Dokumentation des Alltags in den USA bis heute nicht gelungen. Denn dort lebt der Fotograf seit 1991, lehrt Visual and Environmental Studies an der Harvard Universität und ist außerdem als Kurator und Foto-Theoretiker tätig. Eine seiner letzten größeren Serien, "Here Comes Everybody", hat Killip aber im ländlichen Irland fotografiert. Ist ihm die amerikanische Gegenwart bis heute für ein fotografisches Porträt zu fremd geblieben? Oder will er mit ihren bedeutendsten Chronisten wie etwa Walker Evans oder Robert Frank nicht konkurrieren?

Chris Killip, bis 30. Jan., Galerie f 5,6, Ludwigstr. 7

Irgendwie fremd und zudem futuristisch wirken auch die Chemie- und Z-Pinch-Plasma-Laboratorien, Blowout-Preventer und Grazing-Incidence-Spektrometer, die Thomas Struth für seinen neuesten Werkzyklus in den USA, in Schottland, Israel oder im Max-Planck-Institut in Garching fotografiert hat. Dabei sind doch auch Spektrometer ein Bestandteil unserer Gegenwart. Ein kleiner Ausschnitt aus dem neuen Werkzyklus von Struth, der zu den wichtigsten Vertretern der Düsseldorfer Schule zählt, ist aktuell in der Galerie Rüdiger Schöttle zu sehen.

Dass man Struths großformatigen Bildern wie etwa "Great, Armstrong Hangar 703" oder "Z-Pinch Plasma Lab" nicht gleich ansieht, ob sie Science oder Science Fiction zeigen und aus welcher Gegenwart sie stammen, das hat unter anderem auch damit zu tun, dass darauf der Mensch als Erschaffer und Benutzer der Maschinen und somit ein wichtiger Bezugspunkt fehlt. Stattdessen sieht man Drähte, Schläuche, Kabelknäuel, eine Luftschleuse, ein aus Stangen, Kugeln, Trichtern bestehendes "Research Vehicle" und andere seltsame Apparaturen, deren genaue Funktion man ohne entsprechendes Fachwissen nur schwer durchschauen kann. Die Grenzen zwischen den Zeiten, zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, zwischen Fakten und Fiktion, sie lassen sich also auch hier nicht so klar ziehen.

Thomas Struth , bis 13. Feb., Galerie Rüdiger Schöttle, Amalienstr. 41

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Quelle:
SZ vom 09.12.2015
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