Süddeutsche Zeitung

Fiston Mwanza Mujila: "Tanz der Teufel":Rilke lernt Rumba

Lesezeit: 5 min

Die Verhältnisse sind kompliziert, die Nächte lang, und alle warten auf diesen einen Song: Der federleicht schwingende Roman von Fiston Mwanza Mujila aus Graz über das untergehende Zaire.

Von Jonathan Fischer

Dieser Roman riecht nach Schweiß, nach Klebstoff und Bier. Er nähert sich den Hoffnungen und Enttäuschungen, dem ganzen Irrwitz des postkolonialen Afrika von ganz unten, aus der Perspektive kongolesischer Minenarbeiter, Glücksritter und Straßenkinder. Sie wollen überleben, versuchen aus dem Niedergang des korrupten Regimes des Diktators Mobutu ihre Vorteile zu schlagen. In Fiston Mwanza Mujilas "Tanz der Teufel" bersten eine Menge Träume. Und doch hat der Roman so überhaupt nichts Schweres an sich.

Das mag an der satirischen Einfärbung liegen und an der Musik im Ohr: Immer rauscht im Hintergrund die Rumba. Ihre silbrigen Gitarren und honigsüßen Gesänge konterkarieren den Verfall mit federleichtem Swing. Man sollte diesen Roman unbedingt zur Musik von Papa Wemba, von Camille Feruzi, Wendo Kolosoy und Tabu Ley Rochereau lesen. Der Soundtrack des zentralen Handlungsorts, einer Bar namens "Mambo de la Fete", besteht daraus. Und sie bringt Mujilas Figuren erst zum Tanzen. "Diese Seiten", schreibt der aus Lubumbashi stammende, aber seit mehr als zehn Jahren in Graz lebende Schriftsteller im Nachwort, "wurden oft in der Nacht geschrieben, zu südafrikanischem Jazz ... und zairischer Rumba".

Was wäre der Kongo - zur Zeit des Romans heißt das Land noch Zaire - ohne sein Nachtleben? In den Nachrichten präsentierte sich das Land schon damals als Ort der Korruption und blutiger Bürgerkriege. Dass genau hier auch diese liebliche Tanzmusik gedeiht und alle Unbill übertönt, das ist ein wiederkehrendes Wunder. Polizisten und Gauner, Geschäftsmänner und Prostituierte lassen sich allabendlich im "Mambo de la Fete" von der Rumba bezirzen. Und auch die Straßenkinder vom Lubumbashi zieht es an diesen magischen Ort: Hier werden Fantasien Wirklichkeit, die sonst nur der Klebstoff-Rausch möglich macht. Hier werden die Diamanten aus den Minen auf der anderen Seite der angolanischen Grenze verflüssigt.

Die späten Mobutu-Jahre scheinen alle Spielregeln auf den Kopf zu stellen: "Man kann am Abend als armer Teufel ins Bett gehen, als ärmster Teufel der Welt, und am nächsten Morgen als Minister oder Kriminalinspektor oder sogar als bevollmächtigter Botschafter der Republik Zaire in Nordkorea oder dem Königreich Belgien aufwachen .... Das war die einzige Möglichkeit dieses Landes, allen seinen Kindern eine Chance zu geben ... denn Geld ist wie Glück, es braucht Mut, um es zu kriegen, egal auf welchen Wegen es zu einem kommt."

Vordergründig geht es hier um das Glücksspiel der Straße. Um eine Generation junger Zairer, die weder ein reiches Elternhaus noch Bildung oder Beziehungen haben - dafür aber jede Menge Fantasie und Ambition. Da sind Sanza, Molakisi und Ngungi, die aus ihren Familien weggelaufen sind, um sich auf den Straßen als Männer zu bewähren, die Klebstoff schnüffeln, um dann per Flugzeug in geheimnisvolle Welten voller Schlösser, Champagner und Bediensteter zu reisen. Da sind der ehemalige Geschichtslehrer und Politaktivist Magellan, der vom Aufstand träumt, und der Geheimdienstfunktionär Monsieur Guillaume, der die Straßenkinder als Spitzel rekrutiert und von deutschen Dichtern schwärmt.

Und da ist schließlich Tshiamuena, die Madonna der Minen von Cafunfo: Sie behauptet, zweihundert Jahre alt zu sein, früher in Japan gelebt zu haben und hellseherische Fähigkeiten zu haben. Sie wacht über die Schürfer, die auf der anderen Seite der Grenze in Angola Diamanten suchen. In einer Welt, in der jeder nur sich selbst der Nächste ist, gibt sie eine Art Heiligenfigur ab. Doch ihre Ratschläge zählen nicht viel. Die alten Hierarchien sind außer Kraft gesetzt.

Mujilas österreichisches Alter Ego hört "blasphemische Redundanzen"

Mujila springt zwischen den Perspektiven, erzählt mal in Ich-Form, mal wie ein jovialer allwissender Märchenonkel. Dass diese Brüche nicht stören, liegt an der Agilität und dem Charme seiner Sprache. Er sehe sich in der Tradition von Ernst Jandl, sagt Mujila. Indem er mit den Worten spiele, schaffe er eine andere Ebene: "Wir Kongolesen bemühen uns, eine neue satirische Sprache zu finden, um dem Theater der Grausamkeiten etwas entgegenzusetzen."

Bisweilen streut Mujila urkomische Überlebensweisheiten in die Erzählung. Oder legt steile Kurven in den Plot: etwa wenn ein ehemaliges Straßenkind zum Erzbischof aufsteigt, der "die Schlafkrankheit heilte, familiäre Flüche abwendete, Nachtehemänner und andere Nachtehefrauen abwehrte" - natürlich gegen Beteiligung am Werk des Herrn von hundert Dollar. Mujilas heiter-lakonischer Ton muss sein. Er hält den Leser emotional auf Distanz, lässt Absurdität und Willkür lachhaft erscheinen. Zwischen Gaunerei und Grazie, Glückseligkeit und Größenwahn passt nicht viel Moral. Schon gar nicht im "Mambo de la Fete". Der titelgebende "Tanz der Teufel", im französischen Original heißt der Roman "La Danse du Vilain", ist der Song, auf den alle Gäste hier warten. Eine Stunde und 39 Minuten dauert er, ein Exzess um seiner selbst willen. Selbst Franz Baumgärtner, ein österreichischer Schriftsteller aus St. Pölten und Stammgast der Bar, trommelt dazu fieberhaft auf den Tisch, fühlt sich an das Gejaule von Zebras erinnert und hört "blasphemische Redundanzen wie bei Günter Baby Sommer".

Mujilas Faszination für die Bar als gesellschaftliches Panoptikum befeuerte bereits sein gefeiertes Debüt "Tram 83" und kehrte als "New Jersey Bar" in seinem am Deutschen Theater in Berlin und am Burgtheater in Wien aufgeführten Theaterstück "Zu der Zeit der Königinmutter" wieder. Inspiriert hat ihn seine Jugend: "Meine Großeltern hatten eine Bar, ich habe dort die Welt entdeckt."

Mujila wurde 1981 in Lubumbashi, der Bergbaustadt im Süden Kongos, geboren, studierte Literaturwissenschaft und kam 2009 nach Graz, wo er bis heute lebt und an der Universität afrikanische Literatur unterrichtet. Er schreibt Theaterdramen, Opernlibrettos auf Deutsch und Französisch, führt seine Texte mit Jazzmusikern auf oder wie im Januar 2021 gar mit dem Symphonieorchester Berlin. Und er liebt die japanische Chanteuse Hibari Misora, deren Song "Mambo de la Fete" in "Tanz der Teufel" einfließt. Er fühlt sich als vieles gleichzeitig: europäischer Schriftsteller, Kosmopolit und Kongolese. Seine Themen findet er im Zaire seiner Jugend, dessen Musik und Mythologien er in Aufzählungsorgien verpackt. Seine Sprache lässt den sensorischen Überfluss der Bar seiner Großeltern aufleben, wo er in den Schulferien Stühle räumte, Bierkästen schleppte und lernte, Ennui auf Eskapismus und Rumba auf Rausch zu reimen.

Raffiniert, wie Mujila sein spiegelverkehrtes Alter Ego Franz Baumgärtner in den "Tanz der Teufel" schickt. Der österreichische Schriftsteller kämpft in Zaire mit seiner Mehrfachidentität wie den Verlockungen des Nachtlebens. Und weil sein Romanprojekt stockt, rennt er stets mit einem Koffer voller Zettel herum - "hundert Sätze in erbärmlichem Zustand".

Auch der Geheimdienstler Guillaume, eigentlich für Bespitzelung, Sabotage, Erpressung und Entführung zuständig, bringt die Literatur ins Spiel. Wenn er nicht gerade Rumba hört, schwärmt er von Rilke, Kafka, Paul Celan, Wolfgang Borchert und dem slowenischen Dichter Srečko Kosovel. Wo sonst könne man etwas über "Exile, illegale Grenzübertritte, antiquiertes Vagabundieren", ja die Leidenschaft an sich erfahren?

Wenn Mujila verhandelt, was Literatur im Chaos vermag, dann webt er in seine Aliasse jede Menge biografische Fußnoten. Und spricht en passant über die großen Themen des postkolonialen Afrika: vom Raubbau an den Bodenschätzen über die innerafrikanische Migration bis zur Allgegenwart der Korruption. "Er zeigt die wachsende Kluft zwischen der afrikanischen Bevölkerung und der politischen Klasse, die sich nur selbst bereichert", begründete die Jury die Auszeichnung von "Tanz der Teufel" mit dem renommierten Prix Les Afriques. Nein, Hoffnung findet man in seiner Groteske kaum. Aber dafür jede Menge Musik - und ein paar Rhythmen, die alles, ja wirklich alles verzeihen lassen.

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