Süddeutsche Zeitung

Neu in Kino & Streaming:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht

Lesezeit: 4 min

Joaquin Phoenix verliert sich in surrealen Ängsten, Winnie the Pooh wird zum blutrünstigen Rächer - die Filmwoche in Kurzrezensionen.

Von SZ-Autorinnen und -Autoren

153 Meter

Anna Steinbauer: Meine Nachbarin, die Voyeurin: Hausmeisterin Lana lebt mit ihrer pflegebedürftigen Mutter in einer kleinen Wohnung und beobachtet durch die Linse ihrer Videokamera heimlich eine junge Frau im Wohnblock gegenüber. Anton von Heiseler erzählt in seinem intensiven Kammerspiel mit bemerkenswerter Bildsprache die Geschichte einer Obsession, die außer Kontrolle gerät. Filmische Vorbilder gibt's genug, Heiseler inszeniert in seinem Spielfilmdebüt aber souverän seine eigene Version des unangenehmen Eindringens in die Privatsphäre - aus der Perspektive der älteren Frau.

Adiós Buenos Aires

Josef Grübl: Sie singen von Liebe, Leidenschaft und Entfremdung, dabei sind sie sich selbst längst fremd geworden: Der Hobby-Tangomusiker Julio verschweigt seinen Freunden und Mitmusikern, dass er auswandern möchte und das Dauerchaos in Buenos Aires hinter sich lassen will. Nach mehreren Dokumentarfilmen legt der in Deutschland lebende Argentinier German Kral seinen ersten Spielfilm vor. Dieser spielt um die Jahrtausendwende und sieht auch genauso aus: Die Erzählung wirkt etwas aus der Zeit gefallen, die Musik des Tango-Orchesters ist aber zeitlos schön.

Beau is Afraid

Philipp Stadelmaier: Nach dem Tod seiner Mutter tritt der von Ängsten und Schuldgefühlen zerfressene Mittfünfziger Beau Wasserman (Joaquin Phoenix im beeindruckenden Dauergewimmer-Zustand) eine surreale Odyssee an, die sich ausschließlich in seinem Kopf abspielt. Hollywoods Jungregiestar Ari Aster verbindet Horror mit Komik, Fellini steht ebenso Pate wie Bergman. Über die drei Stunden hinweg wirkt die entfesselte Kreativität jedoch zunehmend aufgebläht und die psychoanalytische Symbolik überbetont.

Book Club 2 - Ein neues Kapitel

Kathleen Hildebrand: In der Fortsetzung der Alters-Romcom "Book Club" machen vier reiche alte Damen einen Junggesellinnen-Abschiedstrip nach Italien, weil eine von ihnen, gespielt von Jane Fonda, nun doch noch unter die Haube kommt. In Rom, Venedig und der Toskana ist alles erwartungsgemäß postkartentauglich. Aber Erin Simms und Bill Holderman gönnen ihren Figuren keinen einzigen guten Witz, alles ist brav, nimmt Anlauf, aber springt dann nicht. Dazu läuft seifige Musik unter jeder einzelnen Szene. Uff. Da helfen auch Diane Keaton und Jane Fonda in zwei wirklich schönen Brautkleidern nicht.

Die Geschichte vom Holzfäller

Nicolas Freund: Dieser Film lässt sich gut mit einer Szene zusammenfassen: Schweigsame finnische Holzfäller sitzen essend in einem trostlosen Pausenraum. Einer schaut auf und sagt: "Morgen ist Samstag. Wir versammeln uns, um Fragen zur Existenz zu diskutieren. Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir?" Ein anderer antwortet ihm emotionslos: "Mir gefällt die Idee. Aber wir haben andere Pläne. Kaisa hat Maja und mich zum Abendessen eingeladen." Alle kauen still weiter. Wer das lustig findet, wird mit der elegischen Suche nach dem Sinn des Lebens im Spielfilmdebüt von Mikko Myllylahti sehr viel Spaß haben. Interessant auch für alle, denen die Filme von Aki Kaurismäki zu fröhlich sind.

Gewalten

Martina Knoben: Der Mensch ist hier des Menschen Kampfhund: aggressiv von Natur aus und von seiner Umwelt noch mehr zur Gewalt getrieben. Umgeben von einem finsteren Märchenwald lebt Malte mit seinem todkranken Vater und seinem bösen Bruder auf einem alten Hof. Mit seinen roten Haaren und dem gelben Pulli ist er ein farbiger Fremdkörper in dieser düsteren Umgebung. In sehr langen, oft wortlosen, streng komponierten Einstellungen lässt Constantin Hatz seine Figuren aufeinander los. Sie reagieren körperlich: durch Berührungen, die oft gewaltsam sind; einmal zieht Malte Jacke und Pulli aus, um mit dem Fahrrad im Wald zu stürzen. Vielleicht, um überhaupt etwas zu spüren. In diesem Film ist kein Trost zu finden, trotz seiner formalen Raffinesse.

Miyama Kyoto Prefecture

Doris Kuhn: Ein Landstrich in Japan wird beobachtet, ein Dorf in den Bergen, in dem man noch Traditionen findet - in der Architektur, in der Landwirtschaft, in den langsamen Gesprächen der Bewohner. Natürlich bricht auch die Moderne herein, aber man sieht, wie im Ort jede Veränderung vorsichtig abgewogen wird. Eine Art Geschichte dazu erzählt ein Deutscher, der seit 30 Jahren dort lebt und eher beiläufig porträtiert wird. Er spielt gern Bambusflöte, die Jahreszeiten wechseln, Rainer Komers' Dokumentation wirkt sehr meditativ.

Sisu

Fritz Göttler: Finnland 1944, die deutsche Wehrmacht ist auf dem Rückzug aus dem Land, soll nichts hinter sich lassen als verbrannte Erde - würde aber doch diesem einsamen alten Reiter, der ihren Weg kreuzt, das Gold abnehmen, das er gefunden hat und nun zur nächsten Bank bringen will ... Ein Finnowestern, der dröhnend, blutig, explosiv daherkommt, von Jalmari Helander, dem Regisseur von "Big Game" (mit Samuel L. Jackson als US-Präsident). Der Alte war Soldat, hat seine Familie im Krieg verloren, ist robust und schnell und brutal im Nahkampf. Ist er unsterblich, fragt einer der hilflosen deutschen Soldaten. Nein, wird ihm beschieden, er weigert sich nur zu sterben. Es ist diese Hartnäckigkeit, die das finnische Wort sisu beschreibt.

Still: A Michael J. Fox Movie

Juliane Liebert: Davis Guggenheims Dokumentarfilm erzählt das Leben des "Zurück in die Zukunft"-Darstellers Michael J. Fox. Der charmante, wegen seiner geringen Körpergröße meist für jüngere Rollen besetzte Fox, dessen Spiel sich gerade durch seine Quirligkeit auszeichnet, bekommt mit kaum dreißig die Diagnose Parkinson und muss mit der zunehmenden Einschränkung seiner Bewegungsfähigkeit umgehen. Eine gewitzte Montage von Auftritten, Auszügen aus Michael-J.-Fox-Filmen und Interviewpassagen.

Winnie the Pooh: Blood and Honey

Fritz Göttler: Rückkehr in den Hundert-Morgen-Wald, wo der junge Christopher Robin tierische Freunde fand wie den Bären Winnie Puuh oder Ferkel. Die Rechte an den Figuren und den Geschichten von A. A. Milne sind eben frei geworden, was der junge Rhys Frake-Waterfield nutzt für eine ganz eigene, böse Sicht auf diese Kinder-Idylle, mit einer Spielverderber-Attitüde, die zwar angenehm subversiv, aber arg rüde und brutal ist. Christopher Robin ging einst zum Studieren fort und ließ seine Tier-Kameraden allein im Wald zurück, die nun das bittere Prinzip des Fressen-oder-Gefressenwerdens erleben müssen und zu gemeinen Slashermonstern werden. Sie malträtieren den reumütig zurückkehrenden Christopher Robin und schlachten eine Reihe junger Mädchen ab. Der Wald ist märchenhaft und majestätisch, aber nur zaghaft rührt der Film an das Mysterium des Horrorkinos - was passiert, wenn Blut und Honig zusammenfließen, Zärtlichkeit und Grausamkeit, Liebe und Vergeltung.

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