Süddeutsche Zeitung

Filmbiographie: Marcel Reich-Ranicki:Bevor der Kragen platzte

Lesezeit: 3 min

Immer einen unflotten Dichtersatz auf der Lippe: Das Leben des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki ist verfilmt, aber man erkennt ihn kaum wieder.

Claudia Tieschky

Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, 88, hat dem Fernsehen mindestens zwei ziemlich starke Erfahrungen geschenkt, das Literarische Quartett im ZDF (1988 bis 2001) und seine Fundamentalkritik am öffentlich-rechtlichen Programmniveau im vorigen Herbst beim Deutschen Fernsehpreis. Jetzt gibt ihm das Fernsehen etwas zurück. Es hat sein Leben verfilmt.

Man stellt sich das für die Filmemacher nicht unbedingt als reinen Spaß vor. "Ich hoffe, dass es ein guter Film wird", hat Reich-Ranicki zum Beispiel im Vorfeld gesagt, "aber ich fürchte, es wird ein schlechter". Die Begründung des früheren FAZ-Literaturchefs hatte mit Schiller zu tun, doch der Regisseur Dror Zahavi ("Die Luftbrücke") inszenierte wenig verfänglich nach Reich-Ranickis 1999 erschiener Autobiographie "Mein Leben". Das Drehbuch schrieb Michael Gutmann ("Lichter"), der auch mal Mitarbeiter der Frankfurter Titanic war. Er wolle sich nicht einmischen, erklärte Reich-Ranicki stets. Dabei klagte er schon mal öffentlich in der hilfreichen Bunten über das Produktionstempo ("Ich werde das Projekt wohl nicht mehr erleben") und ließ vom Reporter streng bei Produzentin Katharina Trebitsch nachfragen.

"Vielen Dank für die Geschichte"

Marcel Reich-Ranickis Autobiographie jedenfalls wurde 1,2 Millionen Mal verkauft, substantielle dokumentarische Filme haben sein Leben beschrieben. Er ist ein deutscher Promi, aber die präzise Wahrheit über das 20. Jahrhundert hat auch zu tun mit der Errichtung des Warschauer Ghettos, aus dem Reich-Ranicki und seine Frau Teofila fliehen konnten, aus dem sie knapp dem Tod entkamen. Mit diesem Gegenstand und mit diesen Personen ist der Fernsehfilm von Regisseur Dror Zahavi kein durchschnittlicher Film.

Er setzt im schönen Ambiente eines Soupers im Jahr 1949 an, Gastgeber ist kein anderer als der junge, gutaussehende polnische Konsul Reich-Ranicki (Matthias Schweighöfer) in London. Bald aber muss er sich in Warschau vor dem Ministerium für Öffentliche Sicherheit (MBP) in einem Dienstaufsichtsverfahren verantworten. Es ist der Beginn des Stalinismus in Polen und die Faktenlage zur "Akte Ranicki" mit ihren Verbindungen zum polnischen Geheimdienst hat der Journalist Janusz Tycner 1994 in der Zeit dargelegt. Reich Ranicki wurde unter anderem seine Arbeit im Judenrat des Ghettos als Kollaboration mit den Deutschen ausgelegt, obwohl ihn ein Gutachten entlastete; 1950 schloss ihn die KP wegen "ideologischer Entfremdung" aus, wogegen er jahrelang mit zahllosen Eingaben ankämpfte.

Stoff für einen Film wäre das auch, aber es überrascht wenig, dass "Mein Leben" von WDR/Arte die weniger erfreulichen Teile der Nachkriegszeit ausblendet. Der Film schließt ab mit der Übersiedlung des Ehepaares in die BRD 1958. Das MBP aber ist Schauplatz eines (fiktiven) Verhörs, in dessen Verlauf Reich-Ranicki dem KP-Mann Kawalerowicz (Sylvester Groth) sein Leben schildert. Rückblenden zeigen das jüdische Kind aus Polen, das in Berlin zur Schule geschickt wird; die Mutter Helene schwärmt vom "Land der Kultur" und trichtert dem Jungen ein: Wir sind Außenseiter, was du auch tust, du musst in allem der Beste sein. Das jüdische Kind wird Bester in deutscher Literatur. Vor den Tätern dieses Kulturlands rettet ihn ein polnisches Dörflerpaar, am Ende befreit ihn ein jüdischer Rotarmist. Dem wackeren KP-Mann Kawalerowicz fällt am Ende der seltsame Satz ein: "Vielen Dank für die Geschichte."

Bernardo Bertolucci hat mit so einer Verhörszene bei "Der letzte Kaiser" gearbeitet, was einem vermutlich auch deshalb gleich einfällt, weil Schweighöfers Spiel so sparsam ist, als stünde es unter Kuratell schwerer höfischer Etikette. Er muss halt einen Intellektuellen darstellen, und da spielt sich außen nicht so viel ab wie beim "Roten Baron", den er zuletzt im Kino gab. Es ist aber auch so, dass sich Zahavis Film erkennbar seiner Hauptfigur nicht bemächtigen will, Interpretation findet fast unterhalb der Wahrnehmungsschwelle statt. Dieser junge Reich-Ranicki ist ein Musterknabe ohne Eigenschaften, und er trägt noch bei den schönsten Mädchen immer einen unflotten Dichtersatz auf der Lippe.

Man kann sich gar nicht gut vorstellen, wie sich aus ihm der unterhaltungskünstlerisch begabte Großkritiker entwickelt haben soll, dem beim Deutschen Fernsehpreis der Kragen platzt. Mein Leben ist einfach ein Denkmal geworden, kein richtig schlechter Film und auch kein wirklich guter; obwohl Katharina Schüttler als Teofila ein überraschendes Wesen voller kleiner Kräfte zeigt.

Marcel Reich-Ranicki: "Mein Leben", Arte, Karfreitag, 21 Uhr, und ARD, 15. April, 20.15 Uhr, danach folgt um 21.45 Uhr der Dokumentarfilm "Eine Begegnung mit Marcel Reich-Ranicki".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.396242
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 09.04.2009/irup
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.