Süddeutsche Zeitung

Film:Coldplay-Doku

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Von David Steinitz

In den putzigen Ausläufern der analogen Spätmoderne, auch als Neunzigerjahre bekannt, funktionierten Bandkarrieren noch folgendermaßen: Da stand in einer gedruckten Musikzeitschrift wie dem New Musical Express irgendwo unten links ein winziger Artikel (so wie dieser hier). In dem war zu lesen, dass es da eine junge Band gebe, die man sich dringend mal ansehen müsse - und beim nächsten Konzert drängelten sich die Talentscouts der großen Plattenfirmen und winkten mit Verträgen.

So erging es den vier Musikern von Coldplay im Jahr 1998. Die britische Band war eine der letzten, die ihren Durchbruch noch in der alten, analogen Plattenindustrie schaffte, und eine der ersten, die in der neuen digitalen Musikära richtig groß wurde. Deshalb ist der Dokumentarfilm "A Head Full of Dreams", abrufbar beim Streamingdienst Amazon Prime, nicht nur das Porträt einer Band, sondern auch eine hübsche kleine Popgeschichte über die Achterbahnfahrt, welche die Musikindustrie in den letzten zwanzig Jahren durchgemacht hat. Der Regisseur Mat Whitecross hat im letzten Jahr schon die lustige Doku "Supersonic" über die Britpop-Proleten von Oasis gedreht, für seinen Coldplay-Film wählt er einen persönlichen Zugang. Denn er kennt die Mitglieder schon aus Jugendzeiten, bevor sie sich zu einer Band zusammenschlossen - und besitzt tolles Archivmaterial aus den pickligen Anfangsjahren. Damals rauchten die Jungs noch und tranken Bier, heute besprechen sie die Zusammenstellung der Setlists für ihre Stadiontourneen bei Sitzungen mit Wasser und ohne Streit. Aber auch das ist ein interessanter Aspekt der Dokumentation, zu sehen, wie vier Männer von ihrer Sturm-und-Drang-Phase in eine Art Askese-Rock'n'Roll flüchten. Die gigantische Hit-Maschinerie, die sie mittlerweile bedienen müssen, sagen alle vier, lasse sich eigentlich nur mit Sport und gesunder Ernährung durchstehen. Und wundersamerweise wirken sie bei diesen Erzählungen sogar sehr sympathisch. Für all jene Hörer, die Coldplay in ihrer Anfangsphase noch gut bis erträglich fanden und dann von Album zu Album mehr angeekelt wurden, weil die Band vom Indierock zum Weltmusikstadionpop wechselte, hat der Film folglich sogar eine therapeutische Funktion.

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Quelle:
SZ vom 24.11.2018
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