Süddeutsche Zeitung

Entwürfe für künftiges Exilmuseum:Metaphorisches Potenzial

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An der Stelle des früheren Anhalter Bahnhofs soll ein Exilmuseum entstehen. Nun kürte eine Jury den Siegerentwurf - ganz nach Berliner Art.

Von Peter Richter, Berlin

Die Architektin Dorte Mandrup aus Kopenhagen wird das geplante Exilmuseum in Berlin errichten. Das hat ein geschlossener Wettbewerb ergeben, dessen Ergebnisse am Freitag vorgestellt wurden - unter anderem von der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller und dem Alt-Bundespräsidenten Joachim Gauck als Schirmherren und von Christoph Stölzl als Gründungsdirektor des Museums, das in den nächsten fünf Jahren für 27 Millionen Euro auf der Brache des ehemaligen Anhalter Bahnhofs entstehen soll. Der zweite und dritte Preis gingen an Elizabeth Diller (Diller, Scofidio + Renfro) aus New York und das Büro von Piero Bruno, Donatella Fioretti und José Gutierrez Marquez aus Berlin.

Und schon an diesen drei sehr unterschiedlichen Vorschlägen lässt sich ablesen, worauf die Jury offensichtlich besonderen Wert gelegt hat: Es ist der Umgang mit den denkmalgeschützten Resten der Portalwand, die als einzige von dem kriegszerstörten, dann 1959 beseitigten Bahnhof als Mahnmal noch erhalten geblieben waren. Dieses ruinöse Gemäuer aus gelbem Backstein ragt seitdem einsam in die Leere jenes Teils von Kreuzberg, der wegen seiner Nähe zum Potsdamer Platz einst zu den belebtesten Geschäftsvierteln der Reichshauptstadt gehörte und nach den hier besonders heftigen Kriegszerstörungen in eine weitläufige Freifläche verwandelt war. Irgendwann wuchsen Bäume und Sportplätze wurden angelegt, aber direkt hinter der immer noch pompösen Ruinenwand des einstigen Neorenaissance-Baus klaffte eine ungenutzte Brache, die im Kontrast umso deutlicher machte, dass hier einmal einer der größten und geschäftigsten Bahnhöfe Berlins gestanden hatte.

Es war dann vor ein paar Jahren die Initiative von Bernd Schultz, ehemals Leiter des Auktionshauses Grisebach, genau hier ein Museum anzusiedeln, das sich mit dem Thema des Exils befassen sollte. Denn bisher erinnerte hier zwar eine Gedenktafel daran, dass von hier aus ältere jüdische Berliner nach Theresienstadt deportiert wurden. Dass dieses Portal 1933 für viele auch das Fluchttor ins Exil gewesen war, das wussten aber höchstens noch jene, die auch wussten, dass vom Anhalter Bahnhof einst die Züge nach Westen abfuhren. Nach Paris etwa.

Zu denen, die damals die Flucht in die Emigration antraten, gehörten Berühmtheiten wie Bertolt Brecht, Albert Einstein oder Billie Wilder. Andere waren weniger namhaft, verdankten ihr Überleben aber letztlich ebenfalls dem Gang durch dieses Portal: Für viele dieser damaligen Exilanten dürften die gelben Backsteinbögen das letzte Bild gewesen sein, das sie von Berlin mitnahmen in die Fremde und in die Sicherheit.

Migrationsnarrative in enger Nachbarschaft

Die Idee, an dieses Kapitel des 20. Jahrhundert zu erinnern und gleichzeitig den Bogen zu schlagen in die Gegenwart von Flucht und Exil, fiel in Kreuzberg schnell auf fruchtbaren Boden, zumal der Bezirk in dem künftigen Bau auch Flächen für Freizeit- und Kulturangebote erhalten soll. Dazu kommt, dass im "Deutschlandhaus" schräg gegenüber, einem Bau aus den Zwanzigerjahren, der Bund der Vertriebenen seine Büros hatte und demächst die "Stiftung Flucht Vertreibung Versöhnung" ihre Räume haben soll. Auf die enge räumliche Nachbarschaft dieser Migrationsnarrative darf man auf jeden Fall gespannt sein.

Zum Wettbewerb eingeladen waren am Ende zehn internationale Büros mit Expertise auf dem Gebiet des Museumsbaus, teilgenommen haben letztlich neun, zu sehen sind jetzt allerdings erst einmal nur die drei prämierten. Das Büro Bruno Fioretti Marquez implantiert die Portalwand kurzerhand in die langen, schlichten Mauern ihres schnörkellosen, gut proportionierten, im Ganzen fast schon ein wenig zu eleganten, den künftigen Betreibern vermutlich am Ende auch etwas zu monumentalen Kastens: Das Rendering der Innenräume lässt eher eine Sammlung antiker Götterstatuen erwarten als die intimen Fluchtgeschichten und Biografien, die eines Tages hier erzählt werden sollen.

Liz Diller betrieb währenddessen Archäologie und legte die Fundamente der unteren Eingangshalle frei, erweiterte die Ruine sozusagen nach unten und setzte ein komplex verschacheltes System aus Boxen dahinter, unter mattem Glas verborgen wie in Aspik. Möglich, dass den Juroren das gelbe Backsteinportal darüber zu klein und nebensächlich vorkam.

Dorte Mandrup hingegen behandelte die Mauerreste gleich von vorn herein so als wären sie das erste Exponat der Ausstellung - und ließ sie frei stehen. Ihr Bau lässt eine Lücke und zieht sich in einem respektvollen Bogen dahinter zurück. Diese konvexe Bewegung wird durch gebäudebreite Bögen am Sockel aufgenommen: Der massive Bau setzt so nur an den Ecken spitzfüßig auf und scheint ansonsten über den gläsernen Erdgeschossfronten zu schweben. Er ist in den Geschossen darüber zwar mit kunstvoll versetztem Backstein verkleidet, aber ein Fenstergitter bricht die Opazität gleich wieder und sorgt für den Eindruck von geschützter Offenheit.

Ein Ausstellungsprogramm, das weniger mit Artefakten als mit Medien zu tun haben wird, bekäme hiermit eine ansehnliche Schatulle ohne deplatzierten Prunk, aber mit themenangemessenem metaphorischem Potenzial. Man kann sich vorstellen, was Fachpreisrichter wie Bauherren daran zu schätzen wussten - und hofft gleichzeitig, dass dabei nicht jeder Bogen dieses Baus im Ernst auch einen zwischen Vergangenheit und Zukunft zu schlagen hatte. Es ist, im Vergleich der drei gezeigten Entwürfe, ein nachvollziehbarer Kompromiss.

Aber warum werden nur diese drei gezeigt? Die anderen Entwürfe sollen ab 29. September in der Staatsbibliothek am Potsdamer Platz ausgestellt werden. Das ist ein bisschen seltsam, wo es doch hier darum gehen sollte, ein Wettbewerbsergebnis vorzustellen. Denn dazu gehören auch die beiden Anerkennungen, die an die Entwürfe von Nieto Sobejano aus Madrid und SANAA aus Tokio gingen. Dass die nicht auch schon jetzt gezeigt werden, ist zumindest bedauerlich.

So bleibt der Eindruck, dass der Siegerentwurf vor dem Publikum nicht der Konkurrenz durch den der Pritzker-Preis-gekrönten Japanerin Kazuyo Sejima und ihres Partners Ryue Nishizawa ausgesetzt werden sollte, über dessen Radikalität bisher zumindest Vielsagendes zu hören ist. Von einem unterirdischen Museum, Bäumen und einer poetischen Interpretatin der verunsichernden Weite hinter dem Bahnhofstor. Es scheint darüber auch ordentlich geknirscht zu haben bei der Jurysitzung. Aber am Ende hat sich offenbar der in Berlin oft dominierende Hang zum funktional Praktischen und ästhetisch im Zweifel lieber etwas Konventionellerem durchgesetzt. Klingt nachvollziehbar. Aber auch ein bisschen schade.

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