Süddeutsche Zeitung

"Geschwister" am Maxim Gorki Theater Berlin:Im Kamin lodert schon das Höllenfeuer

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Ersan Mondtag inszeniert am Berliner Maxim Gorki Theater arg plakativen Nazi-Horror.

Von Peter Laudenbach

Wenn die Toten an ihren Grabsteinen rütteln und die Vampire ihren Blutdurst stillen, blüht das Theater von Ersan Mondtag auf. In seinen Inszenierungen steuert das Bühnengeschehen zuverlässig in den Horrorfilm. So wartet man am Berliner Maxim Gorki Theater nur darauf, dass bei Mondtags Premiere "Geschwister" die Zombies im holzgetäfelten Salon einer Berliner Villa über die Bewohner herfallen. Das Höllenfeuer, das sie alle verschlingen wird, lodert schon im Kamin. Die dunkle Höhle mit ihren schweren Gründerzeit-Möbeln, den wuchtigen Treppen zur Galerie im zweiten Stock, den Bücherregalen im Hintergrund ist unschwer als Gefängnis zu erkennen (Bühne: Simon Lesemann).

In diesem Verlies wird mit den formellen Umgangsformen des Familienpatriarchen (Falilou Seck) ein abgelebtes Bürgertum konserviert. Das Abendessen wird wie ein letzter Halt zelebriert, eine Bastion der Tischsitten gegen die drohende Anarchie. Das Radio über dem Kamin überträgt Beethovens "Eroica", Furtwängler dirigiert die Wiener Philharmoniker, eine Aufnahme von 1944, der Hausherr ist ergriffen. Für den Verehrer des guten alten Furtwängler-Pathos reicht selbst Karajan, "neulich in der Philharmonie", nicht an diesen Konzerthöhepunkt von 1944 heran. Jedes formvollendete Beethoven-Legato ist für den braun gefärbten Hardcore-Konservativen eine wehmütige Erinnerung an die schöne Zeit "vor der Niederlage".

Die Abendtisch-Gesellschaft würde jedem Familientherapeuten Freude machen

Der Mann ist wichtig, vielleicht ein Politiker aus der zweiten Reihe, ein hoher Beamter, vielleicht ein Ministerialdirigent mit Bildungsbürgerhintergrund. Er demonstriert das Bewusstsein von seiner staatstragenden Bedeutung mit jeder Anweisung an die Haushaltshilfe. Mit einem Kollegen verständigt er sich am Telefon über eine Gesetzesvorlage mit dem schön umständlichen Namen "Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten", das 1968 verabschiedet wurde und NS-Verbrechern dezent eine kalte Amnestie beschert hat.

Die Abendtisch-Gesellschaft würde jedem Familientherapeuten Freude machen. Neben dem Patriarchen verkümmert seine Gattin (Cigdem Teke) zur stillen Trinkerin. Der kleine Sohn (beste schauspielerische Leistung des Abends: Maxim Loginovskih) stottert verstört. Jahrzehnte später wird er als schwer fiebriger, von den Familiengeheimnissen getriebener Psycho auf der Suche nach der Wahrheit zurückkehren in dieses Villen-Grab (zweitbeste schauspielerische Leistung des Abends: David Bennet).

Einer Tochter reicht der Reichtum der Familie zur Sinnstiftung (Yanina Ceron), die andere (Lea Draeger) schreit zwar die türkische Haushaltshilfe (Tina Keserovic) an, hat aber hohe moralische Grundsätze. Sie äußern sich darin, dass sie in den Suppenteller kotzt und auf einer linken Demonstration revolutionäre Phrasen zum besten gibt. Praktischerweise erkennt man ihre Gesinnung an den militanten Lederhosen, während ihre brave Wohlstandsschwester die hedonistische Gesinnung in Form von Designer-Kleidung vor sich herträgt. Warum subtil, wenn es auch plakativ geht.

Kein Wunder, dass die Revoluzzertochter Amok läuft

Über den Zeitpunkt des Geschehens informiert das Radio zu Beginn der Vorstellung: Der Schah besucht West-Berlin, am Abend wird er in der Deutschen Oper einer Vorstellung der "Zauberflöte" beiwohnen. Das deutsche Abendessen in der Wannsee-Villa findet am 2.Juni 1967 statt, dem Tag, an dem der Polizist (und nebenberufliche Stasi-IM) Kurras den Demonstranten Benno Ohnesorg erschossen hat. Kein Wunder, dass die Revoluzzertochter Amok läuft. Später wird sie - Achtung: Symbol! - den Gashahn aufdrehen, bevor sie die Villa des Grauens für immer verlässt: Rumms!

Natürlich bleibt die Parade der Untoten nicht aus. Aber logischerweise muss sich keine Zombie-Invasion die Mühe machen, die Villenbewohner zu massakrieren. Die Villenbewohner selbst sind die Untoten. Kein Wunder, dass sich der gravitätische Hausherr beim Klassik-Soundtrack von 1944 so wohl fühlt. Wir sind am gesinnungsfesten Maxim Gorki Theater, da waren die Zombies vor 1945 im Zweifel nicht nur bei Furtwängler-Konzerten, sondern auch in der SS. Die düstere Villa liegt selbstverständlich "am schönen Wannsee" - ein kleiner Wink mit dem Holocaust-Zaunpfahl und der Wannsee-Konferenz. Was mit den Vorbesitzern der Villa geschah, "das weiß man nicht genau", man konnte sie damals eben günstig kaufen.

So weit, so Klischee: Der deutsche Theater-Nazi liebt Furtwängler und residiert in arisierten Villen. Man kann zumindest fragen, ob Mondtags effektsichere (um nicht zu sagen: effekt-getriebene) Kreuzung von Zombie-Genre und Theater-Nazi-Genre eher der Auseinandersetzung mit deutscher Gewaltgeschichte dient, oder ob er sie doch nur als Bedeutungsverstärker und Dekoration benutzt - was gegenüber den Opfern dieser Gewaltgeschichte einigermaßen obszön wäre.

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