Süddeutsche Zeitung

Klassikkolumne:Geistreiche Beredsamkeit

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Barockmusik aus dem Norden Deutschlands, die Wiederentdeckung der Komponistin Emilie Mayer und ein Wettkampf zwischen Cello und Klavier.

Von Harald Eggebrecht

Robert Schumanns vier Symphonien haben im Konzert oder in Aufnahmen viele Herangehensweisen erlebt: etwa mit schwerem, drängendem Pathos und unbedingtem Steigerungswillen bei Wilhelm Furtwängler oder mit gehöriger, allerdings wenig poetischer Kantigkeit bei Nikolaus Harnoncourt. Der spanische, in der historisch orientierten Aufführungspraxis hocherfahrene Dirigent Pablo Heras-Casado hat mit den Münchner Philharmonikern in Schumanns Symphonien ihre geistreiche Beredsamkeit, ihre poetische Ausdruckskraft und ihren melodiösen und thematischen Abwechslungsreichtum glänzend entfaltet. Natürlich setzt Heras-Casado nicht auf ein gepanzertes Vollorchester, sondern hat die Musikeranzahl so weit reduziert, dass der Gesamtklang auch im Fortissimo gespannt, federnd und strukturiert bleibt. Die langsamen Sätze werden so gleichsam zu Melodieinseln wundersamer Innerlichkeit. Dass Heras-Casado Schumanns vertrackte Polyphonie erhellt und den musikalischen Prozess rhythmisch akzentuiert, hat er schon bei den drei Solokonzerten bewiesen mit dem Freiburger Barockorchester, der Geigerin Isabelle Faust, dem Pianisten Alexander Melnikow und dem Cellisten Jean-Guihen Queyras. Auch die Münchner Philharmoniker sind ein Heras-Casado-Ensemble, so kraftvoll, sehnig und ohne falsche Wucht erkunden sie diese grandiosen Stücke. (harmonia mundi)

Nur zwei Jahre jünger als Schumann wurde 1812 im mecklenburgischen Friedland Emilie Mayer geboren, die es als eine der ersten Frauen zu Lebzeiten zu beachtlichem Erfolg als Komponistin brachte. Sogar als "weiblichen Beethoven" hat man sie gefeiert, die sich nicht nur auf Lieder und ein reiches Kammermusikschaffen beschränkte, sondern mit Symphonien und anderer Orchestermusik in die Öffentlichkeit drängte. Allerdings gerieten sie und ihr Werk nach ihrem Tod 1883 in Berlin in Vergessenheit. Inzwischen hat die Forschung einiges wieder zugänglich gemacht und so erlebt Emilie Mayers Musik völlig zu recht wieder zunehmendes Interesse. Die 3. und die 6. Symphonie haben Marc Niemann und das Philharmonische Orchester Bremerhaven eingespielt. Gewiss gibt es Anklänge an große Vorbilder wie etwa Joseph Haydn. Doch Mayer ist eigenständig mit ihren rabiat knappen thematischen Einfällen und einer Fortführungskunst, die nicht so sehr harmonisch verwebt, als vielmehr "montiert". Kontraste werden direkt nebeneinander gesetzt, und selbst der Trauermarsch aus der 6. Symphonie scheint immer wieder zu stocken, um neu angeschubst zu werden. Das Finale der 3. Symphonie lebt sich vergnügt aus in Militärmusikgesten. (hänssler classics)

Die koreanische Cellistin Gulrim Choï ist ebenfalls entdeckungsfreudig. Sie hat sich zusammen mit dem Ensemble Diderot unter Johannes Pramsohler auf die Suche nach norddeutschen Cellokonzerten gemacht. Norddeutsche Konzerte? Nun, leicht wird vergessen, dass an den Höfen in Berlin, Schwerin, Köthen und anderen nördlich des Mains auch vorzügliche Musiker und Instrumentalisten zu Gange waren, nicht nur der Mount Everest Johann Sebastian Bach. Einer von ihnen am Hofe Friedrichs des Großen war Ignac Mara (1709-1783), dessen Sohn das legendäre "Mara"-Stradivaricello gehört hat. Sein hier erstmals eingespieltes C-Dur-Konzert klingt versiert und weiß im Adagio die natürliche Gesanglichkeit des Cellos mit ausdrucksvoller Melodie gut einzusetzen. Allerdings fällt auf, dass die hohen Regionen des Cellos noch kaum genutzt werden. das gilt auch bei den Konzerten von Markus Heinrich Grauel (1720-1799) oder Johann Wilhelm Hertel (1727-1789). Doch in Carl Friedrich Abels B-Dur-Konzert klingen schon alle Register des Cellos auf. Abel (1723-1787) galt als der letzte große Gambenvirtuose Europas. Davon zehrt auch sein liebenswürdiges Cellokonzert. (Audax Recors)

Wenn Komponisten wie Frédéric Chopin und Sergei Rachmaninow Cellosonaten schreiben, dann kann man sicher sein, dass trotz aller Celloernsthaftigkeit und -seligkeit das Klavier den rauschenden, virtuos blitzenden oder großmächtig akkordischen Ton angibt. So kann man das auch bei den großartigen Alexander Melnikow und Jean-Guihen Queyras wahrnehmen. Doch Melnikow nutzt für Chopin einen durchsichtig klingenden Erard-Flügel aus der Chopin-Zeit und einen frühen Steinway für Rachmaninow. Da wird also bei aller klavieristischen Bravour nichts zugekleistert, auch weil ein so phantastischer Cellist wie Queyras den Kampf gegen die Vorherrschaft des Klaviers so souverän wie beweglich, so herrlich singend wie energisch zupackend aufnimmt. So kann man zwei Kammermusikmeisterwerke in glanzvoller Manier erleben. (harmonia mundi)

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